Julia Gold Band 53
hinunter, und es schien eine Ewigkeit zu vergehen, bis er sie losließ.
Ohne große Eile gingen sie weiter, jedoch immer noch zu schnell für Hannah, die am liebsten an jedem Stand stehen geblieben wäre, um all die Töpferwaren, die dicken Ballen mit buntem Tuch, die spitzen Ledersandalen und die verlockenden Süßigkeiten genau zu betrachten. Ein andermal würde sie allein hierherkommen. Im Augenblick war sie völlig auf Khalil angewiesen, denn in dem Gewirr von Gassen und Passagen hatte sie längst jegliche Orientierung verloren.
„Dies hier ist die Criée Berbère , der alte Sklavenmarkt“, erklärte Khalil und wies sie auf einen mit Teppichen abgetrennten Bereich hin. „Es ist noch gar nicht so lange her, dass diese Art Handel abgeschafft wurde. Aber komm zuerst hier hinein.“
Sie betraten einen schmalen, an beiden Seiten mit Teppichen behängten Gang, der sich in nichts von all den anderen ringsum unterschied.
„Khalil!“
Auf der Stelle wurde er von einem ungeheuer dicken Mann mit dröhnender Stimme begrüßt und umarmt.
Khalil stellte sie vor.
„Willkommen in Marokko, in Marrakesch, im Großen Freitag-Teppichmarkt“, begrüßte der dicke Mann sie überschwänglich.
Hannah bedankte sich lächelnd. Vor ihr lag ein riesiger gekachelter Saal mit hoher Decke, in die prachtvolle farbige Glasscheiben eingelassen waren. Rechts und links lagen gefaltete Teppiche aufgestapelt, während andere von der Decke hinunterhingen. Hannahs Augen begannen zu funkeln.
„Bitte, nehmen Sie Platz“, lud der dicke Mann sie ein und deutete auf eine mit kostbarem Damast gepolsterte Ottomane. Gerade wollte sie seiner Aufforderung nachkommen, als Khalil ihr zuvorkam und es sich wie ein orientalischer Pascha auf der Liege bequem machte.
„Und für Sie“, sagte der Mann und zeigte auf ein Sitzkissen, das etwas niedriger war als Khalils Ottomane.
„Gleichberechtigung?“, meinte sie leise zu Khalil.
Er beugte sich zu ihr und flüsterte lachend in ihr Ohr: „Ich bin ein alter und geschätzter Kunde und Freund. Du hingegen bist hier noch ein unbeschriebenes Blatt.“
Hannah lächelte und erhob sich. Sie war sich voll bewusst, dass Khalil sie amüsiert beobachtete. Zwei junge Männer kamen herein und bemühten sich äußerst ehrerbietig um Khalil. Wie sehr er es doch genießt, hofiert zu werden, dachte sie leicht irritiert. Sie ignorierte ihn völlig und begann, einen dicken Strang herunterhängender Wolle durch ihre Finger gleiten zu lassen.
Ihr Gastgeber begann, vor ihnen einen Teppich nach dem anderen auszubreiten und ihnen die herrlichen Schattierungen vorzuführen, indem er die Ecken hochhob. Hannah war begeistert. Die Teppiche waren wunderschön, und in ihrer Vorstellung hingen sie bereits in ihrem Londoner Basar von den Arkaden herab.
„Sind diese hier alle echt?“, fragte sie Khalil.
„Ja, alle“, versicherte der dicke Händler und hielt ihr die Fransen zum Prüfen hin. „Kein Plastik. Mit Feuer können Sie es sehen.“
Hannah lachte, und der Mann strahlte über sein ganzes dickes Gesicht. Khalil riss ein Zündholz an und hielt es an ein paar Fransenenden.
„Riech einmal“, sagte er.
„Wozu?“, wollte sie wissen, gehorchte aber und hielt die Nase an die brennende Wolle.
Khalil sagte etwas, und der Händler brachte ihm einen anderen Strang Wolle, der ebenfalls angezündet wurde. Auch an diesem musste Hannah riechen.
„Sauer“, stellte sie fest, verzog das Gesicht und entfernte sich schnell von den glimmenden Fäden.
„Jetzt weißt du, wie man die echten von wertlosen Imitaten unterscheiden kann“, meinte Khalil.
„Ich wünschte, alle Beurteilungen wären so leicht zu treffen“, sagte sie nachdenklich.
„Da gebe ich dir recht. Wie viel Kummer könnten wir uns damit ersparen, nicht wahr?“
Der bedeutungsschwere Ton seiner Stimme ließ sie erstaunt aufsehen. Aber gerade in diesem Moment stieß einer der anwesenden Knaben einen klagenden Laut aus und eilte zu dem niedrigen Tischchen zwischen ihnen, um dort eine Vase mit zartroten Rosenknospen so zu arrangieren, dass sie auf Hannah gerichtet waren.
Sie lächelte den Jungen an und dankte ihm gerührt. Seine Antwort war ein strahlendes Gesicht und eine Flut von Worten in französischer und arabischer Sprache.
Khalil dolmetschte ihr. „Er entschuldigt sich dafür, dass niemand früher darauf geachtet hat. Schöne Blumen sollten einander ansehen, sagt er, und er meint dich.“
„Meinst du das ernst?“, fragte sie argwöhnisch. „Oder
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