Julia Gold Band 53
Hannah“, seufzte er. „Küss mich.“
Der Klang seiner tiefen, leidenschaftlichen Stimme rief Erinnerungen in ihr wach, und einen Augenblick lang waren sie wieder das verliebte junge Paar in der grünen irischen Landschaft. Ein tiefes, sehnsuchtsvolles Stöhnen entrang sich ihren Lippen, sie griff nach seinem Kopf, zog ihn wild an ihren Mund und schmiegte ihren Körper an seinen. Er richtete sich ein wenig auf, hielt ihre Arme mit beiden Händen über ihrem Kopf fest und schaute mit wildem Blick auf sie hinunter. Ihre Wangen glühten vor Verlangen, und ihr Haar floss in weichen goldenen Wellen über den schimmernden Satin.
Plötzlich sprang er auf, kehrte ihr den Rücken zu und rang offenbar mit aller Kraft um seine Selbstbeherrschung.
„Was tue ich da? Du ziehst mich auf deine Ebene!“, stieß er hervor.
Entsetzt hörte Hannah seine Worte der tiefsten Verachtung und wollte gerade aus purer Gewohnheit eine scharfe Antwort geben, als sie es sich anders überlegte und dies eine Mal still blieb. Er hatte schließlich von ihr abgelassen, und darüber konnte sie im Augenblick froh sein.
„Abdul!“, donnerte er.
Hannah sprang von den Kissen hoch. Ein Diener betrat mit schlurfenden Schritten den Raum und verbeugte sich unterwürfig vor Khalil.
„Sidi?“ , antwortete er und hielt den Blick auf seinen Herrn gerichtet. Die Frau im Raum schien er völlig zu ignorieren.
Was muss Abdul von mir denken, dachte Hannah. Ich muss ja ein Bild der wüstesten Unordnung abgeben. Voller Scham wandte sie ihren Kopf ab. Und Khalil! Jetzt musste er von ihren fragwürdigen Moralvorstellungen gänzlich überzeugt sein, so, wie sie sich verhalten hatte. Was um Himmels willen war nur über sie gekommen? Bei dem Gedanken daran, wie sie auf ihn eingegangen war, errötete sie noch tiefer.
„Miss Jordan ist heute unser Gast. Bringe ihr etwas zu essen und zu trinken“, befahl Khalil mit barscher Stimme. Er sprach englisch mit dem Diener, offenbar, damit Hannah jedes Wort verstehen konnte.
„Etwas harira , Herr, etwas Couscous?“
„Nein, irgendetwas, einen schnellen Imbiss.“
„Und für Sie, Herr?“
„Nichts.“
„Die Kinder sind unten am Fluss. Wollen Sie mit ihnen essen?“
„Genug, Abdul. Ich werde später natürlich zu den Kindern gehen. Wo sind die anderen?“
„Alle in Marrakesch, Herr. Sie kommen morgen zurück, Insh’Allah .“
„Morgen erst? Wie viele Wagen haben sie mitgenommen?“
„Alle, Herr.“
Khalil fluchte, dann gab er Instruktionen, sein eigenes Fahrzeug betreffend, und warf Hannah einen kalten Blick zu.
„Abdul bringt dir etwas zu essen.“
„Ich nehme nichts von dir an“, lehnte sie stolz ab.
„Ganz wie du willst. Warte hier auf mich. Dann werden wir ein für alle Mal abrechnen.“
In Panik sprang sie auf. „Abrechnen …“
„Ruhe!“, herrschte er sie mit einer Stimme an, die donnernd durch den großen Raum hallte. „Oder, beim Barte des Propheten, du lernst meinen Zorn wirklich kennen!“ Zu Abdul gewandt, sagte er knapp: „Pass auf, dass sie nicht verschwindet.“
Der Diener sah unsicher und ängstlich aus, nickte aber. Dann verließen beide den Raum, und Hannah blieb allein zurück.
Verzweifelt überdachte sie ihre Lage. Was sollte sie nur tun? Vorsichtig schlich sie zu einem der Filigranbögen und schaute hinaus. Er führte in den inneren Garten, einem friedvoll in der warmen Sonne ruhenden, kleinen Paradies mit plätschernden Brunnen und grünen Wasserbecken, liebevoll gepflegten Orangenbäumen und wild wuchernden, blühenden Hängepflanzen. Weit und breit war kein Mensch zu sehen. Hannah schöpfte Mut und betrat den Garten.
Allerdings half es ihr wenig, sich mitten in einer Festung frei bewegen zu können. Sie musste zum großen Tor zurückfinden oder zu einem anderen Ausgang. Einmal draußen angekommen, könnte sie vielleicht von den Berberfrauen ein Maultier mieten. Khalil würde sie ohne Wagen kaum verfolgen können. Sie musste es wagen.
Beim Geräusch von Schritten fuhr sie erschreckt zusammen. Aber es war nur Abdul, der ihr ein Tablett mit Essen brachte.
„Madam, da ist etwas Salat, kaltes Huhn, Obst und Käse.“
Mit schwacher Stimme dankte sie ihm. Dann kam ihr ein Gedanke. Sie könnte versuchen, an Abduls männlichen Stolz zu appellieren.
„Warte! Du bist ein ehrenwerter Mann, nicht wahr, Abdul?“
„Oh ja, Madam“, antwortete er mit stolz geschwellter Brust.
„Dann hilf mir, Abdul“, flehte sie mit beschwörender Stimme. „Khalil ben Hrima wird
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