JULIA HOCHZEITSBAND Band 20
Altar schreiten?
Vielleicht hätte er doch zur Probe erscheinen sollen. Doch Cloverville in Michigan, wo die Probe stattgefunden hatte, lag eine Autostunde entfernt von seinem Wirkungsbereich im Krankenhaus von Grand Rapids. Er seufzte. Sobald die neue Praxis, die er und Josh eröffnen wollten, fertig war, würde er zusätzlich in der Kleinstadt arbeiten. Er persönlich hoffte, dass sich die Baufirma viel Zeit ließ. Nur aus Freundschaft hatte er sich auf das Unternehmen eingelassen. Denn Cloverville hatte ihm nichts zu bieten.
Die Brünette drehte sich zu ihm um. Ihr üppiges Haar schwang wie ein Seidenvorhang um ihre nackten Schultern. Es juckte ihn in den Fingern, es zu berühren und sich zu vergewissern, ob es so weich war, wie es aussah. Sie begegnete seinem Blick. Ihre großen Augen waren ebenso schokoladenbraun wie ihr Haar.
Ihm stockte der Atem. Eine Hitzewelle jagte durch seinen Körper. Sein Gesicht errötete und seine Handflächen wurden feucht. Damit ihm die Ringe nicht entglitten, steckte er sie in die Jackentasche. Sogar seine Finger zitterten. Was zum Teufel war soeben mit ihm passiert?
Dr. Nick Jameson.
Colleen McClintock war natürlich auf sein Erscheinen bei der Hochzeit gefasst. Schließlich war er der Trauzeuge. Erkannte er sie? Sie bezweifelte es. Wie konnte er jemanden erkennen, den er nie wirklich bemerkt hatte?
Doch nun starrte er sie so eindringlich an, dass ihr ein Schauer über die nackten Arme und Schultern lief und ihre Knie weich wurden. Sie blieb wie angewurzelt stehen, denn bei ihrem Pech und dem Hang zu Unbeholfenheit war durchaus zu befürchten, dass sie über ihre eigenen Füße stolperte. Vermutlich hatte Molly deshalb ihre langjährige Freundin Brenna zur Trauzeugin bestimmt und nicht sie, ihre Schwester. Sie befürchtete bestimmt, Colleen könnte ihr den wichtigsten Tag im Leben ruinieren.
Lag es an dem roten Kleid, dass Colleen nun unverhofft seine Aufmerksamkeit fesselte? Das schulterfreie Gewand aus Satin betonte Rundungen, die sie normalerweise kaschierte, und der leuchtende Farbton war so auffällig, dass sie sich zum ersten Mal seit langer Zeit nicht unsichtbar fühlte.
„Wir müssen uns jetzt aufstellen“, drängte Brenna.
Der Aufforderung wurde sofort Folge geleistet. Sogar Colleens starrsinniger kleiner Bruder Rory, der sonst auf niemanden hörte, reihte sich gehorsam in die Gruppe vor der Garderobe der Braut ein. Vielleicht war Brenna Kelly deshalb Trauzeugin geworden. Man hörte auf sie.
Colleen dagegen überhörte man. Natürlich war das ihre eigene Schuld, weil sie sich so still verhielt. Dennoch hatte Molly ihr nie das Gefühl gegeben, unwillkommen zu sein, und hatte sie in ihren Freundeskreis integriert. Dazu zählten Brenna Kelly mit den wundervollen roten Haaren und üppigen Rundungen, die zierliche lebhafte Blondine Abby Hamilton, und Eric South als Hahn im Korb, der sich aus unerfindlichen Gründen kurz vor der Probe am vergangenen Abend aus der Hochzeitsgesellschaft verabschiedet hatte.
Daher musste Colleens großer Bruder Clayton nicht nur als Brautführer herhalten, nachdem ihr Vater vor acht Jahren gestorben war, sondern an Erics Stelle auch noch Abby Hamilton zum Altar geleiten. Sicherlich hätte er sie lieber zur Tür hinauskomplimentiert, denn er machte sie stets für alle Schwierigkeiten verantwortlich, in die seine Schwestern gerieten.
Dabei war ihm nur zu wünschen, dass sich zwischen den beiden etwas anbahnte. Er brauchte eine Frau wie sie, die ihm beibrachte, sich zu entspannen und das Leben zu genießen. Nach dem Tod seines Vaters war er notgedrungen viel zu schnell erwachsen geworden. Doch leider hatte Abby Cloverville vor Jahren verlassen und war nur zur Hochzeit zurückgekehrt. Die Miniaturbraut, die mit vor Aufregung roten Wangen bei ihnen stand, war Abbys vierjährige Tochter.
Nervös spähte Colleen über die Schulter zu der geschlossenen Garderobentür. Was war nur mit Molly los? Schaffte sie es, sich das Brautkleid ganz allein anzuziehen, nachdem sie die Brautjungfern kurzerhand hinausgescheucht hatte? Warum wollte sie ausgerechnet jetzt, wo sie die Unterstützung ihrer Freundinnen gebraucht hätte, allein sein?
„Hallo“, murmelte eine tiefe Stimme und zog damit Colleens Aufmerksamkeit auf sich.
Dr. Nick Jameson stand direkt vor ihr. In OP-Kleidung sah er blendend aus; im schwarzen Smoking, der sich über seinen breiten Schultern spannte, wirkte er geradezu umwerfend. Trotz ihrer High Heels musste sie den Kopf ein wenig
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