Julia Liebeskrimi Band 09
abblasen, ihre Crew samt ihren Träumen einladen und wieder nach L. A. zurückfahren. Wenn sich Reese’ Verdacht, dass jemand diesen Unfall auf der Canyon Rim Road absichtlich herbeigeführt hatte, als zutreffend herausstellte …
Sie erschauerte heftig. Einen Moment lang zitterte ihre Hand so sehr, dass sie die Zahnpasta nicht auf die Bürste bekam. Aus dem noch immer beschlagenen Spiegel schaute ihr ein verzerrtes, verängstigtes Gesicht entgegen.
Sydney spürte Widerwillen gegen ihr Spiegelbild in sich aufsteigen.
„Du bist schon einmal aus Chalo Canyon weggelaufen, Mädchen. Noch einmal läufst du nicht davon.“ Sie hob trotzig das Kinn. „Sebastian ist ein zäher alter Knochen, aber du bist zäher.“
Viel zäher. Nachdem sie hatte mit ansehen müssen, wie ihr Vater einen qualvoll langsamen Tod gestorben war, hatte sie keine Angst mehr. Das Schlimmste in ihrem Leben lag hinter ihr.
Diese wütende Selbstversicherung hallte ihr noch in den Ohren, als sie ein paar Momente später, eingewickelt in das Badelaken, ihr Schlafzimmer betrat. Ohne diese Infusion aus Wut und Entschlossenheit hätte sie das leise, fast unhörbare Klicken des Schlosses an der Verbindungstür möglicherweise nicht registriert. So aber bewirkten das winzige Geräusch und das damit einhergehende Drehen des Türknopfes, dass ein unbändiger Zorn in ihr aufstieg.
„Du dreckiger Lump“, zischte sie, während ihr Herz unter dem dünnen Baumwollstoff hämmerte. „Diesmal kommst du mir nicht ungeschoren davon.“
Barfuß rannte Sydney über den erbsengrünen Teppich in die Ecke, in der ihre Ausrüstung gestapelt war. Bebend vor Kampfeslust, schlossen sich ihre Hände um ein schweres Kamerastativ.
Sie wirbelte das Stativ zweimal versuchsweise durch die Luft, und zwei Sekunden später war sie wieder bei der Tür. Angriff war die beste Verteidigung, wie Sydney aus den unzähligen John-Wayne-Filmen, die sie mit ihrem Vater zusammen gesehen hatte, wusste.
Sie stellte sich hinter die Tür, umklammerte das Stativ fest mit einer Hand, während sie mit der anderen den Riegel zurückschob, die Tür aufriss und das Stativ niedersausen ließ.
„Was zum …“
Der vermeintliche Einbrecher konnte sich gerade noch rechtzeitig in Sicherheit bringen. Das Stativ verfehlte seinen Kopf nur um Haaresbreite und krachte gegen den Türrahmen, Holz splitterte. Sydney hatte eben zum zweiten Schlag ausgeholt, als sie den überraschten Mann erkannte, dessen Hand hochschoss und ihre Waffe packte.
„Reece!“ Empört und erleichtert kam sie aus ihrer Deckung hervor. „Bist du verrückt? Du hast mir einen Heidenschreck eingejagt!“
„Ja, und du hast mich eben wahrscheinlich ein Jahr meines Lebens gekostet.“ Er taxierte sie aus schmalen Augen von Kopf bis Fuß. „Vielleicht sogar zwei.“
Sie ließ von dem Stativ ab und bückte sich eilig nach dem Handtuch, das ihr im Eifer des Gefechts heruntergerutscht und zu Boden gefallen war.
„Was soll das denn?“, fragte sie, vor Empörung zitternd.
„Ich habe nur das Schloss getestet.“ Er wog das Stativ in der Hand und betrachtete es mit finsterer Miene. „Macht es dir etwas aus, mir zu erzählen, was du damit vorhattest?“
„Ich hatte vor, dir den Schädel damit einzuschlagen. Und ich tue es auch, wenn du mich noch mal so erschreckst.“
„Ich nahm an, du seist im Bad.“
„Das war ich auch.“ Sie erhaschte einen Blick auf den geöffneten Schrank im Nebenzimmer, in dem ordentlich aufgereiht Kleidungsstücke hingen, und runzelte die Stirn. „Ich dachte, dieses Zimmer ist leer.“
„Ich habe es soeben bezogen.“
Sydneys Blick kam zu ihm zurück. Er war in das Zimmer neben ihr eingezogen? Mit nur einer Verbindungstür dazwischen? Die Vorstellung bewirkte, dass ihr ganz heiß wurde. Glaubte er womöglich, sie wollte dort weitermachen, wo sie vorhin aufgehört hatten? Genauer gefragt, wollte sie es?
„Ich habe einen leichten Schlaf“, unterbrach er ihre wild durcheinanderwirbelnden Gedanken. „Ich dachte mir, es erleichtert dich vielleicht zu wissen, dass jemand in deiner Nähe ist, falls du noch mehr unerwünschten Besuch bekommst.“
„Oh.“ Die Vorstellung, dass Reece ab jetzt jede Nacht nur ein paar Schritte von ihr entfernt schlafen würde, haute sie fast um. Sie konnte keinen klaren Gedanken fassen.
Dann sah sie, dass er kaum mehr am Leib hatte als sie.
Wie er so vor ihr stand, barfuß und mit entblößtem Oberkörper, musste sie wieder an das denken, was vorhin zwischen ihnen
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