Julia Quinn
kam ihm Caroline zu Hilfe. »Miss
Dent.«
»Ah. Sind wir einander schon
vorgestellt worden?«
Seine Schwester sandte einen
verärgerten Blick in seine Richtung, was ihn nicht im Mindesten verwunderte.
Ein Herr durfte eine Dame nicht vergessen, und Penelope hielt sehr auf gutes
Benehmen. »Erinnerst du dich etwa nicht?« bemerkte sie laut. »Es war auf der
Tanzgesellschaft letzten Herbst. Miss Dent hat mir alles darüber erzählt.«
Eine verdammte Tanzgesellschaft?
Welche Sorte Geschichte hatte sich Caroline jetzt schon wieder ausgedacht? »Natürlich«,
erwiderte er glatt. »Auch wenn ich mich nicht erinnern kann, wer uns einander
vorgestellt hat. War es Ihre Cousine?«
»Nein«, versetzte Caroline mit einer
Stimme, die so süß war, dass sie fast vor Honig tropfte. »Das war meine Großtante, Mrs. Mumblethorpe. Sie werden sich gewiss noch an sie erinnern?«
»Ach, ja!« antwortete er sogleich
und bedeutete ihr mit einer Handbewegung, hereinzukommen. »Die außerordentliche Mrs. Mumblethorpe. Wie habe ich sie nur vergessen können? Sie ist eine
einzigartige Dame. Das letzte Mal, als wir zusammen dinierten, führte sie ihre
Jodelkünste vor.«
Caroline stolperte über die
Türschwelle. »Ja«, erwiderte sie durch zusammengebissene Zähne und musste sich
am Türrahmen festhalten, um nicht zu fallen, »sie hat ihre Reise in die Schweiz
sehr genossen.«
»Mm, ja. Das sagte sie. Um ehrlich
zu sein, dachte ich, als sie ihre Demonstration beendet hatte, die ganze Gegend
müsste jetzt wissen, wie sehr ihr ihre Reisen gefallen hat.«
Penelope folgte dem Austausch mit
Interesse. »Sie müssen mich unbedingt Ihrer Tante vorstellen, Miss Dent. Sie
klingt interessant. Ich würde sie sehr gerne kennen lernen, während ich hier
bin.«
»Wie lange genau planst du denn zu
bleiben?« warf Blake ein.
»Ich fürchte, ich kann Sie Tante
Hortense nicht vorstellen«, erklärte Caroline Penelope. »Ihr Aufenthalt in
der Schweiz hat ihr so gut gefallen, dass sie sich entschlossen hat, zu einer
weiteren Reise aufzubrechen.«
»Wohin?« fragte Penelope.
»Ja, wohin?« wiederholte Blake und
bezog unheiliges Vergnügen aus dem kurz aufflackernden Entsetzen in Carolines
Blick, während sie nach einem passenden Land suchte.
»Island«, platzte sie schließlich
heraus.
»Island?« fragte Penelope. »Wie
merkwürdig. Ich habe noch nie zuvor gehört, dass jemand nach Island reist.«
Caroline lächelte verkrampft und
erläuterte: »Sie hat schon immer eine Vorliebe für Inseln gehabt.«
»Was ihre jüngste Reise«, warf Blake
trocken ein, »in die Schweiz nur zu deutlich beweist.«
Caroline wandte ihm den Rücken zu
und sagte zu Penelope: »Wir sollten jemanden losschicken, Ihr Gepäck zu
holen, Mylady.«
»Ja, ja«, murmelte Penelope, »gleich.
Aber zuerst, Blake, bevor ich deine ziemlich unhöfliche Frage zu beantworten
vergesse, möchte ich dich davon unterrichten, dass ich vorhabe, ungefähr eine
Woche zu bleiben, vielleicht auch ein wenig länger. Vorausgesetzt natürlich, du
bist damit einverstanden.«
Blake blickte sie halb belustigt,
halb ungläubig an. »Wann hat mein Einverständnis denn Einfluss auf dein Tun
gewonnen?«
»Nie«, erwiderte Penelope mit einem
sorglosen Schulterzucken, »aber man muss der Höflichkeit halber wenigstens so
tun, nicht wahr?«
Caroline sah Bruder und Schwester
bei ihrem Schlagabtausch zu und spürte, wie ihr die Kehle mit einer Mischung aus Neid und Wehmut eng wurde. Blake war ganz offensichtlich verärgert
über das unangekündigte Eintreffen seiner Schwester, aber genauso
offensichtlich war, dass er sie liebte. Caroline hatte nie die herzliche
Kameradschaft, wie sie unter Geschwistern herrscht, erfahren; genau genommen hatte sie sie noch
nicht einmal bei anderen beobachtet.
Ihr Herz schmerzte vor Sehnsucht,
während sie den beiden zuhörte. Sie wünschte sich jemanden, der sie neckte;
sie wollte jemanden, der ihre Hand hielt, wenn sie verunsichert oder voller
Angst war.
Am allermeisten wünschte sie sich jedoch
jemanden, der sie liebte.
Caroline hielt vor Schreck die Luft
an, als sie merkte, wie gefährlich nahe sie den Tränen war. »Ich muss gehen«,
sagte sie hastig und strebte zur Tür. Entkommen war im Moment alles, woran sie
denken konnte. Das Letzte, was sie wollte, war in der Eingangshalle von
Seacrest Manor vor Blake und seiner Schwester in Tränen auszubrechen.
»Aber Sie haben noch gar nicht Tee
getrunken!« protestierte Penelope.
»Ich bin gar nicht durstig. Ich ...
ich ...
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