Julia Quinn
blinzelte erstaunt. »Oh,
dann hast du es vergessen. Keine Ursache. Vergiss bitte, dass ich etwas
gesagt habe.«
Blake musterte seine Schwester
ungläubig, während sie sich ihrer Suppentasse widmete, als befände sich darin himmlisches Manna. »Um Himmels
willen, Penelope, was immer es war, woran du gedacht hast, sag es.«
Sie biss sich unentschieden auf die
Lippe. »Heute ist der elfte Juli, Blake.« Ihre leise Stimme war voller Mitleid.
Er starrte sie einen segensreichen
Augenblick lang verständnislos an, bis er sich erinnerte.
Der elfte
Juli.
Der
Jahrestag von Marabelles Tod.
Er stand so abrupt auf, dass sein
Stuhl nach hinten umfiel. »Wir sehen uns morgen«, verkündete er tonlos.
»Warte, Blake! Geh nicht!« Sie erhob
sich und eilte ihm nach, als er aus dem Zimmer ging. »Du solltest gerade jetzt
nicht alleine sein.«
Er blieb stehen, drehte sich aber
nicht zu ihr um. »Du verstehst nicht, Penelope«, erwiderte er mit belegter
Stimme. »Ich werde immer alleine sein.«
Zwei Stunden später war Blake vollkommen betrunken. Er
wusste, dass er sich davon nicht besser fühlen würde, aber er hatte immer
weiter gehofft, ein Glas Whisky mehr würde ihm helfen, weniger zu
fühlen.
So war es aber leider nicht.
Wie hatte er das nur vergessen
können? Jedes Jahr hatte er ihres Sterbens mit etwas Besonderem gedacht, etwas,
um sie im Tod zu ehren, wie er es im Leben versucht, dabei jedoch versagt
hatte. Im ersten Jahr waren es Blumen auf ihrem Grab gewesen. Banal, das
wusste er selbst, doch seine Trauer war noch zu frisch und er zu jung gewesen,
als dass ihm etwas anderes eingefallen wäre.
Im folgenden Jahr hatte er ihr zu
Ehren an der Stelle, wo sie gestorben war, einen Baum gepflanzt. Das war ihm
irgendwie angemessen erschienen; als Mädchen hatte Marabelle Bäume
schneller als jeder Junge in der Nachbarschaft hochklettern können.
Danach war es im einen Jahr eine
großzügige Zuwendung an ein Heim für Findelkinder gewesen, im nächsten eine Bücherspende an ihre ehemalige Schule. Einmal hatte er auch ihren Eltern, die
schon immer mit nur dem Nötigsten hatten auskommen müssen, anonym einen
Geldbetrag zukommen lassen.
Doch dieses Jahr ... nichts.
Er stolperte den Weg zum Strand
hinab, mit dem einen Arm balancierend, mit dem anderen seine Whiskyflasche umklammernd. Als er das Ende des
Pfades erreicht hatte, ließ er sich ungeschickt zu Boden sinken. Kurz bevor der
harte Felsengrund in den feinen Sand überging, gab es ein Stückchen Gras, auf
dem er jetzt saß. Während er auf das Wasser des Ärmelkanals hinaussah, fragte
er sich, was, zur Hölle, er nur mit sich anfangen sollte.
Er war nach draußen gekommen, um
frische Luft zu schnappen, aber auch um seiner Schwester zu entkommen. Weder
Penelope noch ihre gut gemeinten Fragen sollten ihn in seiner Trauer stören.
Aber die salzige Luft tat wenig, seine Schuldgefühle zu lindern. Es erinnerte
ihn bloß an Caroline. Heute Nachmittag war sie mit dem Geruch nach Meer und
warmem Sonnenschein im Haar nach Hause gekommen.
Caroline. Er schloss gequält die
Augen. Caroline, das wusste er, war der Grund, weshalb er Marabelle vergessen
hatte.
Er schüttete sich mehr Whisky aus
der Flasche die Kehle hinab. Auf dem Weg in seinen Magen hinterließ die scharfe
Flüssigkeit eine brennende Spur, aber Blake begrüßte den Schmerz. Es fühlte
sich rau und nichtswürdig an, und das schien für heute angemessen. Heute Nacht
fühlte er sich nicht als Gentleman.
Er ließ sich nach hinten sinken, bis
er mit dem Rücken auf dem Gras zu liegen kam, und schaute hinauf in den Himmel.
Der Mond war aufgegangen, aber sein Licht war nicht hell genug, die Sterne
verblassen zu lassen. Sie sahen fast fröhlich aus, wie sie da oben am Firmament
hingen und funkelten, als hätten sie keine Sorgen. Es kam ihm fast so vor, als
machten sie sich über ihn lustig.
Er fluchte. Langsam begann er
wunderlich zu werden. Oder rührselig. Oder vielleicht war es auch bloß der
Whisky. Er setzte sich auf und nahm noch einen tiefen Schluck.
Der Alkohol benebelte seine Sinne
und verwirrte seinen Verstand, was vermutlich der Grund dafür war, dass er die
Schritte nicht hörte, bis sie fast schon bei ihm waren. »Wersch da?« sagte er
verschwommen, räusperte sich und erhob sich ungeschickt auf seine Ellbogen. »Wer
sind Sie?«
Caroline trat näher, und das Licht
der Sterne schimmerte auf ihrem hellbraunen Haar. »Ich bin es nur.«
»Was tun Sie hier?«
»Ich habe Sie von meinem Fenster
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