Julia Saison Band 01
keinem einzigen Kind einen richtigen Zugang.
Die fünf Stunden erstreckten sich wie eine gefühlte Ewigkeit. Danach fuhr Chuck ihr zu ihrem Haus nach. Dort ließ sie ihr Auto stehen und stieg bei ihm ein. Nun, so nahe neben ihm, fühlte sie sich noch unbehaglicher und fehl am Platz, und das drückte ihre Stimmung umso mehr. Am liebsten hätte sie das ganze Date gestrichen.
„Hast du irgendetwas?“, erkundigte er sich.
„Ja“, gab sie zu. „Es war ein lausiger Tag. Rhiana und ich haben uns gestritten, und die Kinder in der Schule waren längst nicht so … so …“
„Zugänglich? Denk dir nichts dabei. Es lag nicht an dir. Zu mir waren sie auch nicht besonders freundlich. Mich haben sie behandelt, als wäre ein Polizist das Allerletzte, was sie je werden wollen. Manche Schüler haben mich sogar regelrecht verspottet. Es war eine harte Truppe. Aber das ist ja vorbei. Jetzt wird dein Tag umso schöner.“
„Nein, wird er nicht.“ Sie bereute ihre unbedachte Bemerkung, kaum dass sie ausgesprochen hatte, denn sie klang trotzig wie Rhiana.
„He, das verletzt mich jetzt aber.“
„Das muss es nicht. Es liegt nicht an dir, sondern an mir.“
Er seufzte übertrieben. „Diesen Satz fürchten alle Männer.“
Carly wandte den Kopf ab und starrte hinaus auf die schneebedeckten Dächer.
„Aber es ist so. Ich weiß nicht, was ich tun soll. Rhiana kommt gerade in die Pubertät und wird von Tag zu Tag schwieriger. Aber es sind nicht nur die Kinder. Ich kann nicht mal mit einem unverbindlichen Date umgehen.“ Verstohlen warf sie Chuck einen Seitenblick zu.
Ihre Enthüllung schien ihn nicht zu bekümmern. „Atme einfach tief durch. Es ist nicht mal unser erstes Date, wenn man das Dinner bei meinen Eltern mitrechnet.“
„Das tue ich aber nicht. Du hattest mich nur eingeladen, um dir deine Mutter vom Leib zu halten.“
Er lachte. „Wie du meinst. Als Ausgleich dafür lade ich dich nicht nur zu einem Kaffee ein, sondern zu einem späten Lunch oder frühen Dinner. Danach können wir ein bisschen um die Halbinsel herumfahren. Und während der Fahrt und danach können wir uns unterhalten und uns besser kennenlernen. Das ist gar nicht schwer.“
„Du weißt schon mehr über mich, als mir lieb ist. Meine Scheidung, die Brandstiftung …“
„Du bist doch bloß ein unglücklicher Feuerteufel“, korrigierte er mit einem breiten Grinsen.
Carly lachte trotz ihrer Nervosität. „Ja, das klingt wesentlich netter. Aber darüber hinaus hast du mich auch schon in Tränen aufgelöst, total hilflos und bissig erlebt.“
„Stimmt. Ich habe dich in deinen schlimmsten Momenten gesehen. Was soll also noch passieren? Entspann dich, und erzähl mir von deinem Tag.“
„Da gibt es nicht viel zu erzählen. Abgesehen von dem erwähnten Streit mit meiner Tochter. Sie ist der Meinung, dass ich ihr Leben ruiniere. Ich bin mir nicht sicher, ob es nicht stimmt.“
„Wie alt ist sie?“
„Elf.“ Und Sean war bereits zwölf. Ihr schien, als wären sie erst gestern noch Babys gewesen und hätten ihre Mutter geliebt und bewundert. Sie erinnerte sich lebhaft an den Babyduft, an den Zauber ihres Lächelns. Nun schenkte Rhiana ihr kein Lächeln mehr.
„Die meisten Kinder in dem Alter benehmen sich so. In den nächsten Jahren wird es noch schlimmer, aber dann ziehen sie von zu Hause aus und begreifen, wie wundervoll du warst und bist“, versicherte Chuck.
Ihr wurde bewusst, dass es sich bei ihr genauso abgespielt hatte, als sie aufs College gegangen war. Plötzlich war ihre Mutter, die sie während der Teenagerzeit als lästig empfunden hatte, zu ihrer besten Freundin geworden.
Hätte ich gewusst, wie wenig Zeit uns vergönnt ist, hätte ich sie öfter angerufen, öfter besucht.
Carly verdrängte die trübsinnigen Gedanken und fragte: „Und wie war dein Tag?“
„Wie immer. Ich bin ins Büro gegangen, habe mich mit Reportern besprochen, ein paar Formulare ausgefüllt und dann das Projekt durchgeführt. Mein Job hat nicht viel mit den Krimiserien im Fernsehen gemeinsam. Weitere Fragen?“
„Warum hast du nur kurzfristige Beziehungen?“
Er lächelte schief. „Ganz einfach. Polizist zu sein ist hart. Wechselnde Schichten, Dienst an Feiertagen. Es ist schwer für uns, aber noch schlimmer für die Angehörigen. Viele meiner Kollegen sind geschieden. Wenn ich jemals heirate, wünsche ich mir eine Ehe wie die meiner Eltern, aber das kommt in Polizistenkreisen höchst selten vor. Deshalb begnüge ich mich von vornherein
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