JULIA SOMMERLIEBE Band 21
sie den Ausblick auf die Bahia Conchas , was so viel bedeutete wie Muschelbucht. Das Meer war von einem strahlenden Blau und die Luft, die durch das offene Fens ter hereinwehte, erfüllt von den Düften dieses wunder schönen, fremden Landes mit seiner jahrhundertealten Geschichte. Geprägt von der Herzlichkeit und Leidenschaft, die jedoch auch einen Anflug von Grausamkeit in sich barg.
Dies war nicht nur das Land des wunderschönen Oleanders und der samtig roten Geranien, die an den weißen Häusern bis zum Dach hochrankten. Nein, dieses Land war auch bekannt dafür, dass der Sand in der Stierkampfarena blutgetränkt war und dass die spanische Inquisition immer noch ihre Schatten warf.
Das Land der weißgoldenen Sonne und der schwarzen Schatten. Der Sinnlichkeit und ernsten Traurigkeit in der Musik und in den dunklen Augen, die die fremde Frau so neugierig betrachtet hatten.
Linda war berauscht von all dem, was sie sah und fühlte. Auch wenn sie sich nur schweren Herzens von Tante und Onkel getrennt hatte, hatte sie sich doch danach gesehnt, hierher zu kommen. Nur wenige Menschen hätten vermutet, dass sich hinter der Fassade der kühlen Selbstbeherrschung ein Wesen versteckte, das sich nach der heißen Sonne und dem leidenschaftlichen Flamenco sehnte. Hier im Süden schien die Zeit stillzustehen. Nur die Autos, die sich ab und zu auf der gewundenen Straße zeigten, brachten für die Menschen, die auf den Feldern oder in den Weinbergen arbeiteten, einen Hauch von Stadtluft mit.
Und jede Drehung der Räder brachte Linda ein wenig näher zu dem nächsten Treffen mit Don Ramos, der in jeder Hinsicht den gut aussehenden, temperamentvollen Spanier zu verkörpern schien. Ein Blick in seine Augen hatte ihr das Gefühl gegeben, dass er die Bewunderung der Frauen für selbstverständlich nahm.
Er hatte sie vermutlich als leicht zu beeindruckendes Mädchen vom Lande abgestempelt, und sie wünschte sich, ein wenig weltgewandter zu sein. Sie überlegte, wie es wohl sein mochte, das Objekt der leidenschaftlichen Aufmerksamkeit von Don Ramos Gil de Torres zu sein. Als sie kurz die Augen schloss, sah sie seine dunkle, attraktive Gestalt vor sich, in dem hellen Anzug, der seinen sehnigen Körper umschmeichelte. Und wenn sie sich sehr konzentrierte, konnte sie sogar die warme Berührung seiner Hand spüren.
Ihr Herz klopfte plötzlich schneller, als sie daran dachte, dass er sie kurz berührt hatte, als er ihr die Handtasche zurückgab. In diesem Augenblick hatte sie auch den schweren Goldring an seinem Finger bemerkt.
Ein verhaltener Seufzer stahl sich von ihren Lippen. Ob verheiratet oder Single, Don Ramos war für sie genauso wenig erreichbar wie die spanische Sierra. Und trotzdem erging sie sich in romantischen Träumereien, wenn sie an ihn dachte. So, wie sie es manchmal getan hatte, wenn sie in dem samtenen Dämmerlicht eines Kinos saß und ihrem Lieblingsschauspieler zusah. Das Kino, so hatte sie gelesen, hatte einen seiner Ursprünge in den Träumen einsamer Menschen. Und sie vermutete, dass in dieser Annahme ein Fünkchen Wahrheit lag.
Es war immer noch besser, das Unerreichbare zu lieben, als sich der Liebe ganz zu versagen. Und ein Leinwandheld würde ihr nie das Herz brechen, so wie ein realer Mann dies tun könnte. Er würde für immer der ideale Held bleiben, den die Vertrautheit nie zu einem fehlerhaften menschlichen Wesen machen würde. Auf der anderen Seite könnte dieser Held sie nie wirklich in den Armen halten.
Dieses Land hatte Linda in seinen Bann gezogen, seit sie sich auf der Küstenstraße zum La Granja Vista befand. Ihr Herz schlug schneller vor Aufregung. Sie war gespannt auf das Haus, das bestimmt all ihre Erwartungen erfüllen würde und sicher etwas Maurisches an sich hätte.
Plötzlich warf ihr der Taxifahrer ein paar spanische Worte über seine Schulter zu. Und während Linda deren Bedeutung gerade klar wurde, schoss das Taxi in ein Objekt auf der Straße und geriet außer Kontrolle. Bei dem starken Aufprall wurde Lindas Kopf gegen den Fahrersitz geschleudert. Heftiger Schmerz durchfuhr sie, als ihre Stirn gegen die Kante des Sitzes schlug, ehe sie das Gefühl hatte, in eine schwarze Leere zurückgeschleudert zu werden.
Bewusstlos lag sie auf dem Rücksitz, während sich die Hinterräder des Taxis in der Luft über dem Abgrund bewegten, der steil hinab ins Meer führte. Das Hindernis, das den Unfall verursacht hatte, lag mitten auf der Straße. Ein großer Sack mit Gemüse, der wohl
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