JULIA SOMMERLIEBE Band 21
Sitzes, und als der hämmernde Schmerz ein wenig nachließ, stellte sie endlich die Frage, die dringend nach einer Antwort verlangte, seit er ihr seinen Namen genannt hatte.
„Sind Sie mit Senora Valcarel Novalis verwandt?“
„Sie ist meine Cousine“, entgegnete er. „Und ich nehme an, dass Sie auf dem Weg zum La Granja Vista sind, weil Sie die companera ihrer Tochter werden. Ist es nicht so, Senora Layne?“
„Ja. Es war ein Glück, dass Sie die gleiche Straße genommen haben, senor .“
„Glück, oder Schicksal?“, murmelte er.
Sein Äußeres, das sowohl spanische als auch arabische Züge trug, ließ Linda vermuten, dass er das Letztere für die passende Beschreibung hielt. Die Araber nannten es Kismet. „Wollen Sie Ihre Cousine besuchen?“, fragte sie.
„Nicht unbedingt.“ Ein Anflug von trockenem Humor lag in seiner Stimme. „Mir scheint, dass Sie sich der Ausmaße des Granja nicht bewusst sind.“
„Nein“, gab sie zu und fragte sich, welche Überraschung das Schicksal heute wohl noch für sie bereithielt.
„Das Granja “, erklärte er, „ist ein Anwesen, das sich auf meinem Land befindet und in dem Dona Domaya mit ihrem Kind lebt. Als ihr Mann, ein hochgeachteter Arzt, bei den entsetzlichen Unruhen in Lateinamerika wie so viele andere ums Leben kam, habe ich für sie das Gleiche getan wie für Sie heute. Ich habe sie aus einer gefährlichen Situation befreit. Sie ist dann hierher gekommen, um auf meinem Besitztum zu leben. Sie, senorita , werden auch hier leben, wie ich gehört habe, und Pepita als britische Gefährtin Musik und Englisch beibringen.“
„So ist es, senor .“ Interessiert hatte sie zugehört, denn während des Vorstellungsgespräches mit Don Ramos war ihr nichts von alldem erzählt worden. Er hatte ihr keinen Hinweis darauf gegeben, dass Pepita und ihre Mutter aus einer schrecklichen Lebenslage gerettet worden waren. Linda wusste aus verschiedenen Zeitungsartikeln, welch schockierende Dinge sich während des Militärputsches in einigen lateinamerikanischen Ländern abgespielt hatten.
Da ihr Kopf immer noch schmerzte und sie sich benommen fühlte, schloss Linda die Augen, während ihre Gedanken zurück zu dem Treffen mit Don Ramos Gil de Torres abschweiften. Am Abend vor dem Vorstellungsgespräch in London hatte sie ihrer Tante Doris deutlich gemacht, das sie den Job annehmen würde, sollte sie dafür die passende Bewerberin sein. Jeder ihrer Pläne war bisher auf Widerstand gestoßen. Doch diesmal hatte sie ihrer Tante mit entschiedener Stimme erklärt, dass sie mit dreiundzwanzig Jahren wohl das Recht habe, ins Ausland zu gehen, wenn sie das wollte. Larry Nevins, den Sohn einer befreundeten Familie, wollte sie jedenfalls nicht heiraten. Vielmehr sehnte sie sich danach, etwas von der Welt zu sehen, und Spanien hatte sie schon immer gereizt.
Natürlich hatte es die üblichen Vorhaltungen gegeben. Linda wurde wieder einmal daran erinnert, was die Tante und der Onkel alles für sie getan hatten, seit sie nach der Scheidung ihrer Eltern im Alter von zehn Jahren zu ihnen gekommen war. Und Tante Doris hatte natürlich wie üblich betont, wie dankbar sie ihnen noch dafür sein würde, dass sie sie großgezogen und ihr die Musikausbildung am College in London ermöglicht hatten.
Auch wenn Linda begeistert an dem Unterricht teilgenommen hatte, wollte sie das Angebot, in dem bekannten Orchester mitzuspielen, nicht annehmen. Insgeheim hatte sie sich erträumt, so perfekt zu spielen, dass sie als Solistin auftreten könnte. Doch sie verfehlte um Haaresbreite die perfekte Kontrolle über das Cello. Professor Lindiscarne hatte ihr immer wieder gesagt, dass sie angespannter sei als die Saiten des Instrumentes, und dass es eigentlich umgekehrt sein sollte.
Also hatte sie das Angebot, in dem Orchester mitzuspielen, abgelehnt. Stattdessen hatte sie auf eine Anzeige geantwortet, die sie kürzlich in The Lady entdeckt hatte. Eine Frauenzeitschrift, die ihre Tante abonniert hatte. Sie hatte einen Brief an die Chiffrenummer geschickt, die in der Anzeige angegeben war. Bereits ein paar Tage später kam ein Antwortschreiben aus einem Londoner Hotel, in dem sie für den nächsten Freitag zu einem Vorstellungsgespräch gebeten wurde – zufällig Freitag der dreizehnte.
„Ich kann nur hoffen, dass du Pech hast“, meinte Tante Doris, die immer hin und her schwankte zwischen überschäumender Zuneigung und recht erschreckender Gehässigkeit. Linda hatte dieses emotionale Auf und Ab
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