JULIA SOMMERLIEBE Band 21
dreizehn Jahre ertragen müssen. Als sie schließlich den Brief von Senora Valcarel Novalis in der Hand hielt, betete sie darum, die Chance zu bekommen, nach Spanien gehen zu können, um dort zu arbeiten.
Nachdem der Taxifahrer sie dann am Freitag vor dem Royale Hotel abgesetzt hatte, straffte Linda sich noch einmal, ehe sie auf die großen Flügeltüren zuging, vor denen ein Portier in beige-brauner Uniform stand. Sein Blick schweifte über ihre goldblonden Haare mit dem Pony über den verblüffend honigfarbenen Augen, der leicht geschwungenen Nase und den vollen Lippen bis hin zu ihren Füßen.
Als Linda das Foyer betrat, versanken ihre Füße in dem fast knöcheltiefen Teppich. Sie gab sich den Anschein, als sei es für sie das Selbstverständlichste der Welt, eines der Hotels in Mayfair zu betreten. Doch der Mann hinter der Rezeption wusste es besser, als er ihre provinzielle Aufmachung beäugte.
„Ich bin mit Senora Valcarel Novalis verabredet“, erklärte sie ihm. „Mein Name ist Linda Layne. Ich sollte um drei Uhr hier sein.“
Der etwas feminin aussehende junge Mann warf einen Blick auf die Wanduhr, ehe er zum Telefon griff und eine Zimmernummer eingab. Während er Lindas Namen in den Hörer sagte, sah er sie weiterhin mit einem Anflug von Überlegenheit an.
„Miss Layne?“ Er hob eine Augenbraue, und Linda hätte schwören können, dass sie gezupft war. „Würden Sie bitte im Foyer warten? In Kürze wird jemand mit Ihnen Rücksprache halten.“
„Danke.“ Sie entfernte sich von der Rezeption und setzte sich in eines der tiefen Sofas mit den niedrigen Ti schen aus Rauchglas davor. Ihre Beine zitterten genauso, als würde sie vor dem Prüfungsausschuss am College stehen, um ein Musikstück vorzuspielen. Sie war pünktlich im Hotel gewesen und hatte erwartet, dass man sie gleich zum Vorstellungsgespräch bitten würde. Doch als sie er neut auf die Uhr sah, war es bereits zwanzig nach drei. Ob die senora sich wohl schon für eine andere Bewerberin entschieden hatte?
Enttäuschung machte sich in ihr breit. Sie hatte sich ihr neues Leben in Spanien schon in den buntesten Farben ausgemalt, die nun immer mehr verblassten. Es war dumm von ihr gewesen anzunehmen, dass sie die einzige Bewerberin sei … Plötzlich stutzte sie, als sie einen sehr selbstbewusst aussehenden Mann bemerkte, der sich der Rezeption näherte. Er blieb einen Augenblick stehen, um mit dem Angestellten zu sprechen, der dann in ihre Richtung deutete.
Der Mann war in jeder Hinsicht bemerkenswert, und Linda wurde bewusst, dass sie ihn erstaunt betrachtete, als er zu dem Sofa trat, auf dem sie saß. Er trug einen sehr eleganten, perfekt geschnittenen Anzug, der die geschmeidigen Linien seines Körpers ausgezeichnet zur Geltung brachte. Er sah nicht nur aus wie ein Matador, sondern bewegte sich auch so, nur dass ihm das rote Tuch fehlte.
„Sind Sie Senorita Layne?“ Er war vor Linda stehen geblieben.
„J…ja.“ Sie hatte das Gefühl, aufstehen zu müssen, doch das tiefe Sofa hielt sie gefangen wie Treibsand. Als sie es trotzdem versuchte, glitt die Handtasche von ihrem Schoß, und sie kam sich überaus ungeschickt vor, als er sich bückte und die Tasche für sie aufhob.
„Kein Grund, nervös zu sein.“ Er sprach Englisch mit einem leichten spanischen Akzent. Er legte die Tasche zurück in ihren Schoß und setzte sich neben sie. „Meine Schwester ist leider indisponiert. Deshalb bin ich an ihrer Stelle gekommen, um das Vorstellungsgespräch mit Ihnen zu führen. Ich bin Don Ramos Gil de Torres. Und Sie sind die junge Engländerin aus Essex, die Domaya so einen gescheiten Brief geschrieben hat.“
Dass er das Wort „gescheit“ mit einem seltsamen Anflug von Spott in der Stimme belegt hatte, mahnte Linda, sich zusammenzunehmen. Auch wenn sie einen gescheiten Brief geschrieben hatte, ließ ihre Tölpelhaftigkeit doch die Haltung vermissen, die eine spanische Familie von einer Gesellschafterin verlangte.
„In Ihrem Brief haben Sie erwähnt, Senorita Layne, dass Sie als companera noch keinerlei Erfahrung haben. Was hat Sie denn plötzlich dazu bewogen, eine solche Anstellung anzustreben?“
Obwohl seine Stimme tief und verführerisch klang, schwang trotzdem ein Hauch von Sarkasmus darin mit. Linda fühlte sich gezwungen, ihn anzusehen und merkte, dass sein sinnlich-verhangener Blick an ihren Lippen hing.
„Ich fand die Vorstellung sehr reizvoll“, entgegnete sie, „und ich würde es gerne versuchen.“
„Dann erlauben
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