JULIA SOMMERLIEBE Band 21
Taxi
Sie Ihren Entschluss bereuen lassen, hierher gekommen zu sein.“
„Nein“, erklärte sie, „obwohl ich mein Gepäck verloren habe.“
„Nun, in den Augen einer Frau ist das natürlich eine Katastrophe.“ Ein seltsames Funkeln lag in seinem Blick. „Vermutlich glauben Sie, dass Sie im hintersten Winkel von Spanien gelandet sind und überlegen nun, wo Sie eine Zahnbürste, einen Lippenstift und Kleider zum Wechseln herbekommen. Stimmt’s?“
„Ja.“ Sie spürte die Verzweiflung, wenn sie daran dachte, dass ihre Habseligkeiten in den Trümmern des Taxis lagen. Von ihren Ersparnissen hatte sie sich leichte, luftige Kleidung gekauft, passend für das südliche Klima. Jetzt waren sie ruiniert, bevor sie überhaupt die Gelegenheit gehabt hatte, auch nur eines der Kleider anzuziehen. Tränen brannten in ihren Augen, als sie daran dachte, dass die Worte ihrer Tante, sie würde den größten Fehler ihres Lebens begehen, sich bewahrheiten könnten.
„Du wirst noch an meine Worte denken“, hatte Tante Doris gesagt. „Eines Tages wirst du Hals über Kopf dieses Land der Barbaren verlassen und reumütig nach Hause zurückkehren. Diese Menschen sind doch nicht besser als die Römer, die dabei zugesehen haben, wie den Christen von den Löwen sämtliche Glieder einzeln ausgerissen wurden.“
„Tränen?“ Ein Daumen strich über ihre Haut, als Karim el Khalid eine Träne von ihrer Wange wischte. „Ich hätte Sie nicht für eine junge Frau gehalten, der Besitztümer so viel bedeuten.“
Seine Berührung hinterließ nicht das gleiche erregende Gefühl wie die von Don Ramos. Vielmehr verspürte sie nun eine seltsame Angst.
„Ich besitze nicht so viel, dass ich mir erlauben könnte, es zu verlieren“, gab sie zurück. „Sie leben in einem Kastell und fahren in einem luxuriösen Wagen. Also werden Sie kaum verstehen können, was es bedeutet, dass all meine neuen Kleider, die ich von meinen Ersparnissen gekauft habe, ruiniert sind. Vermutlich haben Sie keine Ahnung, wie es ist, von einem Gehalt abhängig zu sein. Ich denke, der Anzug, den Sie tragen, hat mehr gekostet als all meine Kleider zusammen, die ich verloren habe.“
„Vermutlich haben Sie recht, senorita Layne.“ Er rückte von ihr ab, und sie glaubte, um seinen dunkel verschatteten Mund einen Anflug von Grausamkeit zu entdecken. „Die Garderobe wird Ihnen ersetzt. Dona Domaya fährt sicher in nächster Zeit mal nach San Lopez. In der Zwischenzeit wird es Ihnen an nichts mangeln, was Sie dringend benötigen. Zu Zeiten der Militärdiktatur in Lateinamerika war mein castillo ein Zufluchtsort für die Menschen, die nichts mehr hatten außer ihr nacktes Leben. Im castillo gibt es daher genügend Kleidung, und ich bin sicher, dass Adoracion etwas Passendes für Sie finden wird.“
„Danke, seno r.“ Linda hatte sich schon beinahe willenlos darin ergeben, dass dieser Mann die Verantwortung für sie übernahm. Sie stellte sich vor, mit einem Sammelsurium verschiedener Kleider ausgestattet zu werden und überlegte, wer Adoracion wohl sein mochte. Ein wunderschöner spanischer Name, der vermutlich seiner Ehefrau gehörte.
Unter verhangenen Lidern betrachtete sie sein Profil. Bei näherem Hinsehen schien er mehr einem Araber als einem Spanier zu ähneln. Vielleicht kam er nach seinem Vater, auch wenn er sich entschieden hatte, in Spanien zu leben.
Für sie sah er aus wie ein Mann, der die Gefahr liebte. Wie Linda jetzt bewusst wurde, hatte er genau das bewiesen, als er sie aus dem Taxi gezogen hatte, das wenige Augenblicke später die Klippen hinabgestürzt war. Als sie daran dachte, welchem Schicksal sie in letzter Sekunde entronnen war, wurde ihr fast übel. Denn eine ärgerliche kleine Stimme in ihrem Kopf flüsterte ihr zu, dass sie Karim el Khalid nun verpflichtet war. Und er sah so aus, als ob er seine Schulden einfordern würde.
Er war ganz anders als alle Männer, die sie je in ihrem Leben getroffen hatte.
„Wir sind da.“ Er deutete mit einer dunklen Hand nach draußen, als sie das große, schmiedeeiserne Tor passierten, das in einen riesengroßen Vorhof führte. Hinter einem großen Springbrunnen schimmerte hell das hoch aufragende Kastell in der Sonne.
2. KAPITEL
Fasziniert sah Linda zu dem Kastell, das sich mit seinen unterschiedlich hohen Dächern und Türmen gegen den Himmel abhob. Sie hatte noch nie etwas so Romantisches gesehen.
Es war ein wundervoller Anblick aus honiggelbem, massivem Stein, der an frühere Zeiten erinnerte.
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