JULIA SOMMERLIEBE Band 21
war. Jetzt war er Scheich Karim el Khalid, ein Kriegsherr dieses fremden, barbarischen Landes, dessen Traditionen noch viel lebendiger waren als die der westlichen Welt.
Dies war das Land, in dem das Schicksal durch Allah bestimmt wurde, so wie es geschrieben stand. Das Land des Harems, ein Ort, der allen Männern verboten war außer dem Herrn des Hauses. Die Frauen waren immer noch verschleiert und trugen Anhänger und Amulette, die das Auge des Shaitan , des Bösen, von ihnen abwehren sollten.
Als die Maschine zum Landeanflug ansetzte, gestand Linda sich ein, dass es kein Zurück mehr gab. Sie würde nicht mehr der Mensch sein, der sie einmal war. Denn sie hatte einer Heirat mit einem Mann zugestimmt, der sie in jeder Hinsicht als sein Eigentum betrachtete. Wie lange diese Ehe allerdings halten würde, vermochte sie nicht zu sagen … vielleicht nur so lange, bis sie Karim das Kind geschenkt hatte, das er sich wünschte.
Ein goldener Sonnenstrahl fiel durch das Fenster neben ihren Sitz und brach sich schimmernd in der Oberfläche ihres Armreifs, den Karim an ihrem Handgelenk befestigt hatte. An dem anderen Handgelenk hing an einem schmalen Armband das kleine Herz mit dem Namen ihrer Mutter.
Wie sonst auch, wenn Linda sich unsicher fühlte, tastete sie nach diesem kleinen Herzen. Ein seltsames Gefühl schnürte ihr die Kehle zu. Eigentlich hatte sie nie erfahren, wie es war, um ihrer selbst willen geliebt zu werden. Ihre Mutter hatte sie verlassen, und ihr Vater hatte sie in die Obhut seiner Schwester gegeben, die eher Dankbarkeit einforderte statt Zuneigung zu schenken.
In diesem Augenblick fasste Linda einen Entschluss. Sollte sie Karim ein Kind schenken und er sich an sein Versprechen halten, dass sie bleiben und es lieben dürfte, sollte das Leben dieses Kindes niemals ein Buch starrer Regeln sein. Stattdessen wäre das Kinderzimmer erfüllt von Lachen, Lärm, Kritzeleien und Kuchenkrümeln am Boden. Tu dies nicht und tu das nicht, diese Worte wären verboten. Und wenn es blitzte und donnerte, würde dieses Kind nicht zitternd vor Angst allein unter der Bettdecke liegen müssen.
„Du bist so still.“ Große starke Hände umfassten ihre Finger, und sie sah Karim verwirrt an. „Hast du Angst, wieder Erdboden zu betreten?“
„Ich habe eben an meine Kindheit gedacht.“ Ihr ernster Blick ruhte auf seinem bronzefarbenen Gesicht mit den ausgeprägten Zügen. „Wenn wir ein Kind haben, Karim, wirst du mir dann erlauben, für das Kleine zu sorgen?“
„Aber natürlich.“ Er rieb ihre kalten Finger mit seinen Händen warm. „Ich bin nicht so hartherzig, dass ich dich von deinem eigenen Baby trennen würde.“
„Versprich es, Karim.“ Mit einem Mal wurde sie von einer seltsamen Angst erfasst. „Gib mir dein Wort.“
„Du hast mein Wort.“ Fragend hob er die Augenbrauen. „Was ist denn in dich gefahren, Linda? Als ich dir den Vorschlag machte, habe ich dir doch gesagt, es sei mein Wunsch, dass mein Kind in der Obhut seiner englischen Mutter aufwächst. Ich habe dich absichtlich ausgesucht. Du bist die perfekte Mutter.“
„Ich werde es jedenfalls versuchen.“ Linda spürte Tränen in den Augen. „Ich weiß, dass ich das Kleine lieben werde. Liebe ist das Wichtigste, Karim, das weiß ich aus eigener Erfahrung. Es reicht nicht, sich nur um das körperliche Wohlergehen zu kümmern. Liebe und Zärtlichkeit sind so wichtig, wenn wir klein sind und uns nicht gegen die manchmal grausame Art der Erwachsenen wehren können.“
„Du bist ja richtiggehend wütend darüber.“ Er nahm ihre Hände und sah ihr besorgt in die Augen, in denen Tränen schimmerten. „Wie kommst du auf die Idee, dass ich so grausam sein könnte?“
Sie kannte die Antwort … weil er sie nicht liebte. Dies wurde ihr plötzlich bewusst, als das Flugzeug auf die Landebahn einbog. Deshalb fühlte sie sich zutiefst verunsichert. Aber selbst heißglühende Nadeln könnten ihr diese Erkenntnis nicht entlocken – dass sie sich unerwartet nach seiner Liebe sehnte, obwohl er in seinen sechsunddreißig Jahren nie Liebe empfunden hatte. Sie wollte die Liebe in seinem Blick sehen, sie in seiner Berührung spüren, wollte sie von seinen Lippen hören.
Benommen folgte sie ihm aus dem Flugzeug in die Limousine, die auf sie wartete, um sie zu seinem Haus zu bringen, das außerhalb der Stadt am Rand der Wüste lag.
Sie atmete den seltsamen Duft ein, der in dieser Stadt hing. Und sie bemerkte die hoch aufragenden Mauern der Stadt, als sie
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