Julia Sommerliebe Band 22
andere Welt. Eine längst vergangene Zeit.“
„Genauso empfinde ich es auch. Immer wieder aufs Neue.“ Er war amüsiert, und doch schwang ein ungewohnter Ernst in seiner Stimme mit. „Deshalb habe ich mein Büro in der echten Welt für geschäftliche Dinge in Valletta. Ansonsten würden mich die Geister zu oft behelligen.“
„Schon wieder Geister?“ Sie lachte. „Allmählich habe ich das Gefühl, dass du wirklich an Geister glaubst.“
„Was Geister angeht, bin ich tatsächlich ambivalent“, gab er zu. „Auf dieser Insel wimmelt es nur so davon. Kennst du unsere Geschichte?“
„Oh, ja.“ Sie nickte und ließ den Blick wieder im Hof schweifen. „Blutige Schlachten, jede Menge Invasionen und Belagerungen. Die Christen gegen die türkischen Aufrührer.“
„Grausamkeiten gab es auf beiden Seiten. Das Blut würde dir in den Adern gefrieren, wenn du sie erfährst.“
Trotz der Hitze bekam Caroline eine Gänsehaut.
„Signor Romano!“ Der enthusiastische Willkommensgruß erklang, als eine Tür aufflog und eine kleine, stämmige Frau mit lachendem Gesicht und strahlenden Augen auf sie zukam.
„Caroline, darf ich dir Dolores, meine Haushälterin, vorstellen? Dolores, das ist Signorina Caroline Hastings, unsere PR-Beraterin aus London.“
„Freut mich sehr, Sie kennenzulernen, Signorina . Kommen Sie hier entlang, ich zeige Ihnen, wo Sie heute Nacht schlafen werden.“
Romano hatte seine Haushälterin offenbar bereits informiert. Erleichtert folgte Caroline der kleinen Frau durch endlose Flure mit hohen Decken, geschwungenen Treppenaufgängen in einen Raum, der groß genug war, um hier einen Ball zu feiern. Die Wände waren mit golden gewirkter Papier-Seiden-Tapete bekleidet, alles in einem sanften Blauton. Der Teppich hatte einen Hyazinth-Ton. Dominiert wurde das Zimmer von dem prominenten Himmelbett mit seinen mitternachtsblauen Satin-Decken.
Das Schönste jedoch war die Aussicht. Von ihr fühlte sich Caroline magisch angezogen. Durch das Fenster bot sich ihrem Auge ein idyllisches Panorama.
„Ich hoffe, alles ist zu Ihrer Zufriedenheit.“ Dolores lächelte sie warmherzig an. „Es ist schön, dass Sie uns besuchen. Romano hat schon so viel von Ihnen erzählt. Er hält große Stücke auf Ihre Arbeit.“
„Danke.“ Caroline wusste nicht so recht, was sie darauf antworten sollte. Irgendwie war es ihr unangenehm, ein indirektes Kompliment von Romano zu bekommen.
„Wenn Sie noch irgendetwas brauchen, lassen Sie es mich wissen.“
„Das kann ich mir zwar kaum vorstellen, aber vielen, vielen Dank.“
Als Dolores sie allein gelassen hatte, stellte sich Caroline ans Fenster und sog den faszinierenden Anblick in sich auf. In dem sonnenerhellten Tal erkannte sie den roten Turm der Kirche von Mosta, in der Ferne die Häuser von Valletta und jenseits die blaue See …
„Gefällt dir die Aussicht?“
Beim Klang von Romanos tiefer Stimme schreckte sie zusammen. „Sie ist … atemberaubend.“
Er strahlte sie an. „Du siehst aus wie Rapunzel in ihrem Turm“, grinste er und berührte ihr Haar.
Caroline hatte es zu einem Bauernzopf geflochten. Der blonde Zopf lag auf ihrer Schulter und hob sich gegen das jadegrüne Shirt ab, das sie für ihren Ausflug in die Casa Sciorto gewählt hatte. „Nur dass es hier keine böse Hexe gibt, oder doch?“
„Nein. Keine böse Hexe.“
„Vielleicht einen bösen Grafen?“, schlug sie vor, als er sacht mit den Fingern über ihre Schulter strich.
„Ja, natürlich … dein böser, skrupelloser und vertrauensunwürdiger Graf.“
„Das hast du gesagt.“
Romano betrachtete ihr bemüht entspanntes Gesicht.
„Auf Malta gibt es eine Geschichte: Damals, als der Apostel Paulus 60 vor Christus hier strandete, ließ er ein Wunder geschehen, indem er das Gift einer Schlange entzog und den Frauen Maltas in die Zunge einführte.“
„So ein chauvinistischer Spruch ist wieder einmal typisch für dich.“
„Bist du sicher, dass du kein maltesisches Blut in den Adern hast, Caroline?“
Ihr gelang ein zuckersüßes Lächeln. „Nichts dergleichen. Reines angelsächsisches Blut.“
„Dann gilt das Wunder vielleicht für alle Frauen auf der Welt.“
„Jemandem, der so arrogant und so … wunderbar ist wie du, mag das sicherlich so vorkommen.“
Plötzlich brach Romano in Gelächter aus. „Touché. Aber da liegst du falsch, Caroline. Ich gestehe, mir ist noch nie eine Frau begegnet, die so streng und kritisch ist wie du.“
Bei diesem Vorwurf konnte sie
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