JULIA WEIHNACHTSBAND Band 22
zuckte zusammen. „Wenn ich damals mit dir zum Arzt …“
„Es hätte nichts geändert“, unterbrach Sam sie freundlich. Er wusste, dass es nicht stimmte, doch er wollte nicht, dass seine Mutter sich Vorwürfe machte. Sie hatte damals einen Fehler gemacht, dessen Auswirkungen er ein Leben lang mit sich herumtragen musste. Doch es war Unwissenheit gewesen, kein böser Wille, dass sie damals keinen Arzt aufgesucht hatte.
„Aber die Medizin hat doch große Forschritte gemacht, oder etwa nicht?“, fragte sie hoffnungsvoll.
„Wir haben zwei Möglichkeiten“, erklärte Sam ihr. „Entweder eine Samenspende oder eine Adoption.“
Mary nickte. „Zumindest habt ihr eine Wahl. Fahr nach Hause. Sag Jodie, was du für sie empfindest.“
„Ich werde dich hier nicht allein lassen, Mum.“
„Fahr endlich“, wiederholte seine Mutter.
Sam verschränkte die Arme. Seine Mutter mochte starrsinnig sein, doch das war eine Charaktereigenschaft, die er von ihr in ähnlichem Maße geerbt hatte. „Keine Chance. Ich werde so lange bleiben, bis ich weiß, dass du auf dem Weg der Besserung bist.“
Mary seufzte. „Dann ruf sie an. Jetzt!“
Doch als er von der Krankenhauszentrale zur Station durchgestellt worden war, sagte man ihm, Jodie sei gerade bei einer kleinen Patientin und könne nicht ans Telefon geholt werden. Sam hütete sich zu fragen, ob das auch für einen Notfall gelte. Denn das war es schließlich nicht.
Oder vielleicht doch?
Schließlich sagte er: „Nein, ich möchte keine Nachricht hinterlassen. Ich werde es später noch einmal versuchen.“
Als er das nächste Mal anrief, hatte Jodie gerade Pause und machte einen Spaziergang im Park.
Eine Stunde später war sie im Gespräch mit Eltern eines Patienten und durfte nicht gestört werden.
Zähneknirschend wählte Sam eine andere Nummer.
„Sekretariat Dr. Taylor“, meldete sich Julianne.
„Julianne, ich bin es, Sam. Ich … könnten Sie mir einen Gefallen tun?“
„Oh.“ Ihre Stimme, gerade noch kühl und sachlich, klang plötzlich aufgeregt. Oder bildete er sich das ein? Zu wenig Schlaf und zu viele Sorgen, sagte er sich. Julianne sah in ihm einen Arzt unter vielen, mehr nicht.
„Ich muss unbedingt mit Dr. Price sprechen, aber ich kann sie nicht erreichen.“
„Soll ich Sie mit einem der anderen Ärzte verbinden?“
„Nein. Nein, es ist …“, Sam hielt sich gerade noch zurück zu erklären, es sei persönlich. „Es handelt sich um einen Fall, den sie betreut. Deshalb hat nur sie die Informationen.“ Das war nicht einmal gelogen. Schließlich hatte er nicht gesagt, um welchen Fall es ging: um ihn selbst. „Könnten Sie ihr ausrichten, dass sie mich anruft, sobald sie einen Moment Zeit hat?“ Er gab ihr die Telefonnummer des Krankenhauses in Cornwall. „Sagen Sie ihr, sie soll nach mir fragen.“
„Natürlich, Sam. Ich gebe es weiter, sobald ich Dr. Price sehe.“
„Vielen Dank, Julianne.“
„Wissen Sie schon, wann Sie zurück sein werden?“
„Nicht genau. Ich komme, sobald es möglich ist.“ Er seufzte. „Ich versuche, mich morgen noch einmal zu melden. Falls jemand mich ganz dringend erreichen muss, geben Sie ihm diese Nummer – aber nur in Notfällen.“
„Selbstverständlich. Ich werde dafür sorgen, dass niemand Sie ohne dringenden Grund stört.“
Sam lächelte, als er den Hörer auflegte. Er wusste, dass die Assistenzärzte seine Sekretärin „den Drachen“ nannten. Wenn er nicht ihr Chef wäre, würde er sie vermutlich auch fürchten, dachte er. Doch sie war zuverlässig und fleißig. Er konnte sich darauf verlassen, dass sie die Nachricht weitergeben würde und Jodie sich bald meldete. Dann könnten sie sich endlich aussprechen – und hoffentlich zueinanderfinden.
Jodie war auf dem Weg zu Juliannes Büro. Vielleicht konnte sie doch noch erfahren, wo Sam sich aufhielt. Doch direkt vor der Tür kehrte sie auf dem Absatz um und ging entschlossen zurück. Es gab keinen Grund, den Drachen in seiner Höhle zu reizen. Wenn Julianne tatsächlich wusste, wo Sam war, würde sie es ihr nicht erzählen. Es schien so, als sei Julianne zu ihr weitaus unfreundlicher als zu den anderen jungen Ärzten, dachte Jodie. Beinahe feindselig, obwohl sich Jodie dieses Verhalten nicht erklären konnte.
Sie beschloss, stattdessen Richard aufzusuchen. Der Chef der Kinderstation war von Aktenbergen umgeben, als Jodie eintrat. „Hallo Jodie“, begrüßte er sie herzlich. „Was kann ich für Sie tun?“
„Ich weiß, es ist ein
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