JULIA WEIHNACHTSBAND Band 22
ehrgeizig. Seine grauen Augen erinnerten sie an einen trüben Himmel voller Regenwolken, und er wirkte einsam. Sie bevorzugte den sportlichen Typ, blond und gebräunt, mit ungezähmten Locken. Männer, die nicht zu ernst waren, sondern auf der Sonnenseite des Lebens standen. Mit Lachfältchen um die meerblauen Augen und einem freundlichen, großzügigen Mund. Taylor aber war blass, vernünftig und strich sein glattes Haar ordentlich aus dem Gesicht.
Hör auf, darüber nachzudenken, sagte sie sich, als sie bei ihrer Wohnung angekommen war. Vermutlich wird er heute Abend gar nicht auftauchen.
2. KAPITEL
Als Jodie um Viertel nach acht das kleine italienische Restaurant betrat, winkte Fiona ihr fröhlich zu. „Du bist zu spät. Danke, dass wir jetzt dein Dessert essen dürfen“, witzelte sie.
Jodie trat an den Tisch und begrüßte die fröhliche Runde ihrer Kollegen. Dann erstarrte sie für einen Moment – Sam Taylor saß am Ende des Tisches und lächelte ihr zu. Er trug schwarze Jeans und ein dunkles Poloshirt und deutete einladend auf den einzigen freien Stuhl ihm gegenüber.
Tagsüber der Halbgott in Weiß, abends schlichtes Schwarz. Widerwillig musste sie zugeben, dass es ihm verdammt gut stand.
Ihr wild pochendes Herz ignorierte sie, setzte sich und schenkte Sam ein höfliches Lächeln. „Sie sind also tatsächlich gekommen.“
Er nickte nur.
„Habt ihr schon bestellt?“, fragte Jodie in die Runde.
„Ja, für dich die gleiche Pizza wie immer“, erwiderte Mick Salmond, einer der wenigen männlichen Krankenpfleger auf der Station. „Margherita mit Muscheln, schwarzen Oliven und Avocado.“
„Avocado? Auf der Pizza?“ Sam runzelte die Stirn.
Zum ersten Mal entdeckte Jodie einen Anflug von Heiterkeit in seinem Blick. Die grauen Regenwolken schienen wie weggeblasen, an ihre Stelle war ein hell glänzender Silberstreif getreten. Das Lächeln, das er ihr schenkte, war zurückhaltend und dennoch faszinierend. Wie es wohl wäre, diese Lippen zu küssen?, fragte Jodie sich insgeheim. Doch sofort rief sie sich zur Vernunft. Sie wollte nicht über Sam Taylor in diesem Zusammenhang nachdenken. Niemals.
Ist er umwerfend oder ein Langweiler?, würde ihr Bruder fragen. Er ordnete alle Verehrer seiner Schwester in diese beiden Kategorien. Heute Morgen noch hätte Jodie Sam den Langweilern zugeordnet. Mittlerweile war sie nicht mehr so sicher.
Um ihre Verwirrung zu überspielen, griff Jodie nach der Rotweinflasche, schenkte sich ein und nahm einen Schluck. „Mmm, der Wein schmeckt wunderbar“, äußerte sie zufrieden.
„Es ist dieser sizilianische Syrah, den du letztes Mal entdeckt hast“, erklärte Fiona.
„Wenn man eine Frau auswählen lässt, hat man plötzlich einen Wein mit Schokoladenaroma“, brummte Mick und rollte mit den Augen.
„Rotwein und Schokolade ergänzen sich schließlich perfekt“, gab Jodie unbeirrt zurück. „Außerdem ist es erwiesen, dass Menschen, die genießerisch leben, ein besseres Immunsystem haben.“
Mick stöhnte. „Jetzt wirst du uns gleich wieder mit deinem Beitrag zum Thema Spielen langweilen.“
„Spielen?“, fragte Sam irritiert.
„Sie schreibt einen Fachartikel für die Ärztezeitschrift, wie wichtig Spielen für die Genesung von Kindern ist“, erklärte Mark.
„Deshalb also verbringen Sie Ihre freie Zeit auf der Station“, vermutete Sam.
Jodie errötete. „Ja … Nein. Nicht nur deshalb. Ich liebe die Arbeit mit Kindern, das ist alles.“
Die Pizza kam und erlöste sie aus ihrer Verlegenheit. Jodie widmete sich voller Genuss dem Essen, bis sie spürte, dass Sam sie unverwandt ansah. Fragend blickte sie auf.
„Ich kann nicht glauben, dass Sie das essen“, Sam verzog das Gesicht.
„Sie sollten es probieren, es ist wirklich köstlich.“ Ohne zu zögern, schnitt sie ein Stück von ihrer Pizza ab und bot ihm ihre Gabel an.
Als er sich vorbeugte, traf sein Blick den ihren. Jodie spürte, wie ihr Mund trocken wurde. Vermutlich war ihr der Alkohol zu Kopf gestiegen. Wie kam sie dazu, ihn mit ihrer Gabel zu füttern?
Erschrocken zog sie die Hand wieder zurück.
„Schmeckt besser, als ich dachte“, gab er zu.
Sie spürte, wie ihr das Blut in die Wangen schoss, und beugte sich verlegen über ihren Teller.
„Warum haben Sie sich für Kinderheilkunde entschieden?“, fragte Sam interessiert.
„Ich mag Kinder.“
„Aber Sie sind nicht verheiratet. Wollen Sie keine eigenen Kinder?“
Jodie runzelte die Stirn. Warum fragte er? Wollte er wissen,
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