JULIA WEIHNACHTSBAND Band 22
ob es sich lohnte, auf sie als Ärztin zu zählen, oder ob sie sich irgendwann gegen eine Karriere und für Familie entscheiden würde?
Nein, so war er nicht. Vermutlich wollte er nur ein simples Gespräch mit ihr führen, ohne Hintergedanken. Er konnte ja nicht ahnen, dass er ihren wunden Punkt getroffen hatte. Es war nämlich gerade einmal drei Monate her, dass ihr Exfreund Graham ihr eröffnet hatte, sie kümmere sich zu viel um ihren Beruf, und sie deswegen verlassen hatte.
„Nein, ich bin nicht verheiratet, und ich plane auch kein Haus voller Kinder“, erklärte sie kurz. „Nicht alle Frauen träumen davon, eine Familie zu gründen.“
„Nein?“, gab er zurück. Seine Miene war unergründlich.
„Nein“, betonte Jodie energisch. „Ich habe einen kleinen Patensohn, Billy, und ich genieße es sehr, Zeit mit ihm zu verbringen.“ Das war nur ein Teil der Wahrheit. Sie wünschte sich Kinder, nur jetzt noch nicht. Sie wollte einen Weg finden, Mutter zu sein und dennoch ihren Beruf nicht aufzugeben. Und dann war da noch das kleine, aber nicht unwichtige Problem, zunächst den Vater ihrer Kinder zu finden …
„Warum arbeiten Sie auf der Kinderstation?“, wechselte sie das Thema und gab die Frage von vorhin zurück.
„Ich …“, er zögerte. „Nach dem Studium habe ich in der Kardiologie und in der Onkologie gearbeitet, doch die Arbeit mit Kindern liegt mir am meisten.“ Während er sprach, schien es, als wappne er sich gegen einen inneren Schmerz.
„Kardiologie“, wiederholte sie gedankenverloren. „Das wäre fast auch mein Spezialgebiet geworden, wegen Sadie.“
„Sadie?“
„Meine jüngere Schwester.“ Ihre fröhlichen grünen Augen verdüsterten sich. „Sie hatte ein Loch im Herzen. Damals konnte man es noch nicht heilen. Sie starb zwei Wochen nach der Geburt.“
„War sie sehr viel jünger als Sie?“, wollte Sam wissen.
Jodie schüttelte den Kopf. „Ich war damals knapp drei. Mein Bruder Matt war sieben, er kann sich besser an die Zeit damals erinnern. Trotzdem hat gerade er mich überzeugt, nicht nur wegen Sadie Kardiologin zu werden, sondern meinen eigenen Weg zu finden.“
Sie lächelte. „Er hat mir gerade erzählt, dass er sich verloben wird. Annie und er kennen sich schon seit der Schulzeit, doch ihre Liebe füreinander haben sie erst jetzt entdeckt. Und nun wollen sie keine Zeit mehr verlieren. Die Party ist am nächsten Wochenende“, fügte sie wenig begeistert hinzu.
„Und Sie haben Dienst und können nicht dabei sein?“, vermutete Sam.
Jodie nickte.
„Können Sie nicht mit jemandem tauschen?“
„Nein, dafür ist die Station zu schlecht besetzt. Aber wir werden nachfeiern, nur Annie, Matt und ich.“
Also war der Freund endgültig aus dem Rennen, stellte Sam fest und spürte, dass ihn diese Tatsache freute. Warum? Er konnte sich nicht in Jodie verlieben. Schließlich war sie seine Kollegin.
Sie hatte mittlerweile den Platz gewechselt und trank gemeinsam mit Fiona einen Kaffee an der Bar. Doch er konnte den Blick nicht von ihr abwenden. Er nahm jede ihrer Bewegungen in sich auf – die Art, wie sie die blonden Locken über die Schultern warf, wie ihr Mund sich zu einem Lächeln verzog, wie sie die Hand nach der Tasse ausstreckte. Er stellte sich vor, wie es wäre, ihren schlanken Körper zu berühren, mit den Fingern durch ihr seidiges Haar zu streichen, ihre Lippen zu küssen und ihr danach tief in die lebhaften grünen Augen zu schauen.
Sam atmete tief durch. Was hatte Jodie Price an sich, dass ihm ihr Anblick so sehr unter die Haut ging? Es war ihm immer gelungen, Job und Privatleben strikt zu trennen. Dabei hatte er eigentlich gar kein Privatleben. Es gab nur die Katze, die ihm zugelaufen war, als er nach Norfolk zog. Er hatte sich immer vorgestellt, mit Anfang dreißig Kinder zu haben. Einen Sohn, der auf Bäume kletterte und mit dem Stethoskop seines Vaters dem Klopfen seines Herzens lauschte. Eine kleine Tochter, die auf unsicheren Beinen die ersten wackligen Schritte auf ihn zu machte und „Da-da“ zu ihm sagte.
Doch tatsächlich war sein Leben eine gähnende Leere. Ein Vakuum, das er auch mit noch mehr Arbeit nicht füllen konnte.
Er ertappte sich dabei, dass er Jodie erneut beobachtete. Sie gab jedem Menschen das Gefühl, wichtig zu sein. Er sah, wie sie mit ernster Miene zuhörte, während Mick etwas erzählte. Dann lachte sie unbeschwert und warf dabei den Kopf in den Nacken.
Nach dem Kaffee löste sich die fröhliche Runde auf. Schließlich
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