Julia Weihnachtsband Band 26
wollt, werde ich …“
Bevor sie ausgeredet hatte, kam Harry zu ihr gestürzt. Sie fing ihn auf und nahm ihn in die Arme. „Alles in Ordnung?“
„Ja“, sagte er, doch er umklammerte sie fest.
Cullen wandte den Blick ab und strich sich mit einer Hand über den Mund. „Was tun wir jetzt?“
„Das hängt davon ab, wie lange es dauert, bis wir wieder Strom haben.“ Wendy griff nach Harrys Hand. „Benny Owens Arbeitsplatz liegt direkt am Eingang zur Fabrik. Er hat ein batteriebetriebenes Radio. Unser Sicherheitshandbuch schreibt das vor, damit wir in einem Notfall den Lokalsender einstellen und hören können, was passiert ist. Fünf solche Radios sind nach strategischen Gesichtspunkten im Gebäude verteilt. Bennys ist das nächste.“
„Klingt vernünftig.“
„Ich finde mich am besten in der Fabrik zurecht, deshalb gehe ich und hole das Radio.“ Sie beugte sich zu Harry herunter. „Möchtest du hier bei Mr Barrington bleiben oder lieber mit mir kommen?“
Er schaute sich nach Cullen um, sah dann wieder Wendy an, atmete tief durch und meinte dann: „Ich passe auf ihn auf.“
Wendy lachte, richtete sich auf und zauste ihm das Haar. Der Kleine schaltete schnell. „Es dauert höchstens fünf Minuten.“
Cullen stand mit dem verlegenen Jungen, der versprochen hatte, auf ihn aufzupassen, in dem halb dunklen Raum und runzelte die Stirn. Aus einer Minute wurden zwei, dann drei. Harry wurde unruhig.
„Keine Angst. Deine Mom kommt gleich zurück.“
Der Kleine blickte zu ihm auf. „Sie ist nicht meine Mom.“
„Deine Tante?“
Harry schüttelte den Kopf. „Sie ist nichts.“
Cullen verzog das Gesicht. „Nichts?“
Harry schob sich die Brille höher auf die Nase. „Ich bin ein Flegelkind.“
„Ein Flegel kind?“
„Du weißt schon. Andere müssen sich um mich kümmern, bis das Normalamt weiß, was sie mit mir machen sollen.“
„Normalamt?“
Harry war am Ende seiner Geduld. „Die Leute, die Kinder in ein Heim stecken.“
„Ach so! Das Sozialamt . Du bist ein Pflege kind.“
Er nickte. „Ja. Meine Mom ist gestorben.“
Cullens Herz setzte einen Schlag aus. Ihn überkam eine große Traurigkeit. In der Hoffnung, falsch verstanden zu haben, wiederholte er: „Deine Mom ist gestorben?“
Der Junge nickte wieder.
Cullen beugte sich herunter, um auf Augenhöhe mit Harry sprechen zu können. „Meine auch.“
„Wirklich?“
„Vor ein paar Monaten. Im Januar.“ Er schüttelte verwundert den Kopf. Wie die Zeit verflogen war. „Es ist fast ein Jahr her, aber sie fehlt mir immer noch.“
„Meine Mom fehlt mir auch.“ Er fing Cullens Blick ein. „Aber sie war krank. Alle sagen, jetzt wäre sie glücklich.“
Cullen hätte um ein Haar geflucht. Wenn Leute auf der Trauerfeier zu ihm gesagt hätten, seine Mutter befände sich nun an einem besseren Ort, hätte er es geglaubt. Doch es war grausam, diesem kleinen Jungen zu erzählen, seine Mutter wäre glücklich, nachdem sie ihn verlassen musste.
„Vermutlich hast du keine Tanten oder Onkel?“
Er schüttelte den Kopf.
Cullen zögerte, beinahe aus Angst vor der Antwort, fragte aber dennoch: „Und wo ist dein Dad?“
„Irgendwo.“ Dann hob er ungeduldig die Arme seitlich an und ließ sie wieder sinken, als hätte er es den Erwachsenen abgeschaut, wenn sie über seinen Vater sprachen. „Irgendwann finden wir ihn schon.“
Der Kleine beobachtete ein bisschen zu scharf.
Das Licht aus dem Fenster in Mr McCoys Büro wurde fahler, als Wendy sich tiefer in das Gebäude entfernte, doch im Hauptgang brannte die Notbeleuchtung. Sie erreichte die Tür zur Fabrik, holte das Radio von Benny Owens Arbeitsplatz und hastete zurück zu Cullen und Henry.
Als sie das Büro betrat, fing Cullen ihren Blick ein. Der Ausdruck seiner gewöhnlich strahlenden Augen war sanft, ernst.
„Harry hat mir von seiner Mom erzählt.“
„Ach.“ Sie sah Harry an, der lächelnd zu ihr aufblickte. „Alles in Ordnung, Kleiner?“
Er nickte, immer noch lächelnd.
Was auch immer zwischen den beiden vorgefallen sein mochte, Harry ging es gut. Vielleicht hatte er sich wieder im Dunkeln gefürchtet, und Cullen hatte sich um ihn gekümmert. Erstaunlich, aber schön. Sie wandte sich mit einem dankbaren Lächeln zu Cullen um, doch als sie seinem Blick begegnete, verspürte sie wieder dieses merkwürdige Gefühl im Bauch. Und dieses Mal wurde ihr zudem auch die Brust eng. Das Atmen fiel ihr schwer. Es war, als würde sie in den Tiefen seiner Augen ertrinken,
Weitere Kostenlose Bücher