Julia Winterträume Band 8 (German Edition)
erkannte Catarina, dass man eine Reaktion von ihr erwartete. Also gab sie ihrer Trauer über den Tod eines alten Mannes Ausdruck, den sie zweimal in ihrem Leben gesehen hatte, während ihr Herz immer schneller schlug. Hieß das etwa, damit waren auch die Bedingungen des Testaments außer Kraft gesetzt?
Nein, das bedeutete es nicht. Javier Estes teilte ihr mit, dass sie nun unter der Obhut eines gewissen Enrique Ramirez stehe. Leider sei Senhor Ramirez zu alt und zu krank, um sie persönlich aufzusuchen.
Also nichts Neues, dachte Catarina, nickte aber nur höflich.
Im Auftrag von Senhor Ramirez versicherte der Anwalt ihr, dass sich für sie nichts ändern würde. Sie solle sich keine Sorgen machen, sie werde weiterhin im Kloster leben, bis sie einundzwanzig wurde …
Und danach blieben ihr zwei Monate, um einen brasilianischen Ehemann zu finden, den ihr Vormund guthieß. Dann endlich könne sie ihr Erbe antreten.
Catarina spürte, wie ihr alles Blut aus den Wangen wich. „Was?“
„Hatte Ihr Onkel das nicht erwähnt?“
„Nein. Und ich glaube es auch nicht. Das ist einfach unmöglich!“
Estes holte ein Dokument aus seiner Aktentasche hervor, setzte eine Brille auf und begann laut vorzulesen. Ungeachtet Mutter Elisabetes empörten Zischens riss Catarina dem Anwalt die Seiten aus der Hand und las selbst.
Es stimmte. Nicht nur musste sie einundzwanzig sein, sie musste auch einen Brasilianer heiraten, den ihr Vormund für geeignet hielt.
Catarina verlor die Beherrschung. Sie protestierte, sie schrie, sie schlug mit der Faust auf den Tisch. Estes zuckte nur die Schultern, Mutter Elisabete schickte sie herrisch auf ihr Zimmer.
Sie dachte daran fortzulaufen, aber sie hatte keinen einzigen Real in der Tasche. Außerdem, wenn sie wegrannte, verlor sie allen Anspruch auf ihr Erbe. Und das brauchte sie, um die Freiheit wiederzuerlangen, die man ihr gestohlen hatte.
Jetzt, endlich, war es so weit. Noch eine Nacht, und sie würde diesen Ort verlassen.
Bisher hatte sie nichts von Javier Estes gehört. Vielleicht meldete er sich ja überhaupt nicht. Vielleicht würde ihr Geburtstag kommen, und sie konnte diesen Ort als freie Frau verlassen. Keine Männer mehr, die ihr vorschrieben, wie sie ihr Leben zu leben hatte. Keine Mutter Elisabete mehr, die sich an einen Moralkodex aus dem Mittelalter hielt. Und vor allem keine Bedingung, sie müsse einen achtbaren brasilianischen Mann heiraten.
Schritte waren auf dem Gang zu hören. Catarina schloss das Fenster und schlüpfte ins Bett. Ein Gebet an die heilige Teresa, ihre Namenspatronin. Ein Stoßgebet, dass ihre Hoffnungen sich morgen erfüllten.
Die wilde Inbrunst in dem Gebet rührte von den O’Brien-Genen her. Denn Catarina war keine reine Brasilianerin. Ihre Mutter war eine gebürtige O’Brien, geboren und aufgewachsen in Boston. Die Nonnen hatten ihr Bestes getan, um Catarina das vergessen zu machen – es war ihnen nicht gelungen.
Ein geeigneter brasilianischer Ehemann? Niemals! Sie hatte keineswegs vor zu heiraten, schon gar nicht einen schrecklichen alten Mann. Denn nichts anderes bedeutete das Wort „geeignet“.
Jake war noch nie zuvor in Rio gewesen.
Natürlich hatte er sich informiert. Es war eine Weltmetropole voller Leben und Kontraste, aber im Gegensatz zu seinen Mitpassagieren in der ersten Klasse der American Airlines warf er einen Blick auf den Zuckerhut, sah noch eine Welle sich am Strand der Copacabana brechen, und damit war sein Interesse erloschen.
Um vier Uhr hatte er einen Termin mit Javier Estes, mehr kümmerte ihn nicht. Er würde sich die Namen seiner Halbbrüder geben lassen – wenn Enriques Testament nicht nur ein schlechter Scherz war –, und danach würde er sich sofort wieder auf den Heimweg machen.
Aus der Ankunftshalle zu treten, war ein Schock. Zu Hause in New York wartete man zähneklappernd auf den angekündigten Schneesturm, hier herrschten mindestens dreißig Grad. Die Sonne schien blendend grell.
Jake nahm sich ein Taxi ins Hotel, duschte, zog sich um und kippte zwei Tassen heißen, süßen brasilianischen Kaffees hinunter, in der Hoffnung, er möge der Zeitumstellung und der Hitze entgegenwirken, und machte sich sofort auf den Weg zur Kanzlei, um dem ehrenwerten Anwalt zu verdeutlichen, was er mit den Bedingungen seines verstorbenen Klienten machen konnte.
Estes’ Sekretärin führte ihn in das Zimmer des Anwalts. Der Wind wurde Jake etwas aus den Segeln genommen, als er Estes gegenüberstand. Es war schwer, einen
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