Julian und das Ende der Nacht
geholt. Du hast mich glauben lassen, du seist tot. Kannst du dir vorstellen, was ich durchgemacht habe?“ Vorwurfsvoll sah Emely Marie an.
„Ich habe die falsche Entscheidung getroffen. Ich weiß. Hier unten ist nur Dunkelheit und ich wollte dir nicht das Licht rauben. Da die Söhne der Nacht unser wertvolles Blut erst ab unserem achtzehnten Geburtstag spüren können, glaubte ich dich in Sicherheit. Deshalb kamen wir heute, um dich zu holen.“
„Und was wäre gewesen, wenn die Söhne der Nacht mich früher gegessen hätten?“, brauste Emely auf.
„Schätzchen, ich weiß doch, dass du bei Dunkelheit nie vor die Tür gehst.“ Marie schwieg eine Weile. „Und ich glaube, dass sie heute nur in das Haus eingedrungen sind, weil sie es für unbewohnbar hielten und einen Unterschlupf suchten.“ Aufmerksam blickte Marie in Emelys Augen. „Sag, wieso war mein Garten in diesem jämmerlichen Zustand?“
„Nach deinem Verschwinden bin ich in eine kleine Stadtwohnung gezogen. Ich war heute nur dort, um deine Sachen zu packen. Ich wollte sie Bedürftigen geben“, erklärte Emely leise.
„Möchtest du etwas trinken oder essen nach all der Aufregung?“ „Nein. Ich möchte, dass der Schmerz an meiner Kehle aufhört“, flüsterte Emely.
„Entschuldige Kleines, vor lauter Aufregung habe ich nicht auf deine Wunde geachtet. John kann sie heilen. Da er noch nicht zurück ist, gehen wir zu ihm.“ Marie erhob sich. „Komm.“ Marie ergriff Emelys Hand und führte sie aus dem Raum, einen langen Gang entlang, bis zu einer angelehnten Saaltür, aus der Stimmen drangen.
49
Adam verbarg sich hinter einer dicken Eiche, seine Augen hingen an Julian, der vor einem weißen Haus stehen geblieben war und seinen Finger auf den Klingelknopf legte.
„Ich behalte dich im Auge“, flüsterte Adam hasserfüllt. Sein Herz schmerzte. Der Verlust seiner Brüder setzte seiner Seele zu. Sie waren seine Familie, sein Halt, mit ihnen teilte er sein Schicksal, dem er nicht entkommen konnte. Adam stockte der Atem, als die Tür sich öffnete und Ewan im Türrahmen erschien. Die Verbündeten seines Vaters waren vor einem Jahr auch in das Versteck von ihm und seiner Brüder gekommen. Sie hatten von der Auferstehung ihres Vaters berichtet und ihnen strengstens untersagt, Kairons Rasse zu töten. Adam und seine Brüder hatten sich daran gehalten, bis heute Abend. „Vater, Zeit, dass wir uns Wiedersehen.“ Adams Stimme klang kalt. Die Personen auf der anderen Straßenseite verschwanden im Haus. Die Tür schloss sich. Über Adams Gesicht liefen Tränen. „Ich vergesse euch nicht, Brüder“, schwor er und überquerte die Straße.
50
„Ich werde dich nicht aufhalten, doch erwarte nicht, dass ich an deiner Seite sein werde“, erwiderte Tamino kalt, als John ihm von seinem Plan mit Ewan gegen Richard, Safra und Lilith zu kämpfen erzählt hatte.
„Das erwarte ich nicht.“ Tamino saß auf einem schwarzen Ledersessel am Kamin und starrte in die Flammen.
„Willst du ein Glas Wein?“ Tamino sah kurz auf und hielt sein Weinglas hoch.
„Nein, danke.“
„Wie war es auf der Erde?“, fragte Tamino, eher aus Höflichkeit, als aus Interesse und zeigte auf den Sessel, der ihm gegenüberstand. Zögernd nahm John Platz. „Um ein Haar hätten wir Emely verloren. Vier Söhne der Nacht hatten sie angegriffen, ich musste sie töten. Emely ist ziemlich aufgewühlt, deshalb habe ich sie vorerst bei uns untergebracht. Sie braucht ihre Schwester jetzt. Doch keine Angst, du wirst sie weder sehen noch hören.“
„Das hoffe ich für dich“, brummte Tamino.
***
Marie zog die Tür auf, sie hielt Emely fest an der Hand, als sie mit ihr den Saal betrat.
„John es tut mir leid, euch zu stören. Kannst du Emelys Wunde heilen, sie hat Schmerzen.“ Taminos Blut gefror, sein Atem stockte. Sein Blick fixierte eine auferstandene Liebe längst vergangener Zeit. Sein Weinglas zersprang auf dem Boden. Mühsam erhob sich Tamino und ein gellender Schmerzensschrei ließ die Unterwelt erzittern.
51
In Adam pulsierten Gefühle des Schmerzes, des Hasses und der Trauer. Der Nachtwind blies sanft durch sein langes schwarzes Haar und streichelte über seine Haut, als wollte er ihn besänftigen. Zügig überquerte Adam die Straße, bereit, seinen Dolch zu ziehen und seinen Vater zu bestrafen für das Schicksal, dass er ihm und seinen Brüdern aufgebürdet hatte. Vorsichtig näherte sich Adam Gabriels Haus und ignorierte den Schmerz im Fuß, den er sich beim Sprung
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