Julians süßes Blut (German Edition)
lieben Bruder Alexander, den sie sehr gemocht haben muß.«
Alex schluckte hart, dann sagte er: »Magst du mir von den Aufzeichnungen erzählen, Jennifer? – Ich würde sie auch gern selbst sehen, aber ich nehme an, das Papier aus dieser Zeit ist schon stark angegriffen.« Er erinnerte sich an einige seiner alten Bücher, die er in seiner Bibliothek aufbewahrte.
»Ja«, gab Jennifer ihm recht. »Das stimmt, leider. – Aber ich erzähl es dir auch gern. Ich hoffe, es langweilt Sie nicht zu sehr, Brian.«
»Nein, bestimmt nicht«, sagte Brian lächelnd.
»Adam, bringst du Jessica wohl ins Bett?«
Jessica warf ihrer Mutter einen schwarzen Blick zu, der Brian an Alex erinnerte, wenn dieser wütend war. Alex sah sie liebevoll an. »Geh schon ins Bett, Prinzessin. Wir sehen uns ja noch öfter.«
Widerwillig ließ sie sich von ihrem Vater aus dem Zimmer begleiten. In der Tür drehte sie sich noch einmal um. »Versprich es«, bat sie. Ein strafender Blick ihrer Mutter traf sie.
»Ich verspreche es«, sagte Alex feierlich.
»Entschuldige Alex«, sagte Jennifer. »Ich weiß gar nicht, was heute in sie gefahren ist. Sie ist sonst so schüchtern und zurückhaltend.«
»Das macht doch gar nichts. Im Gegenteil, ich fühle mich geehrt, daß sie so viel Vertrauen zu mir hat.« Alex schenkte Jennifer ein strahlendes Lächeln.
»Da bin ich froh, daß sie dir nicht zu aufdringlich erscheint«, sagte Jennifer erleichtert. »So, du wolltest also wissen, was Maude, unsere Vorfahrin, über ihren Bruder Alexander geschrieben hat. Hast du dich schon früher für unsere Familiengeschichte interessiert?«
»Ja, ein bißchen. Vielleicht kann ich ja auch noch einige Anekdoten dazu beisteuern. Ich bin jetzt erst einmal gespannt auf deine Geschichte.«
Brian warf Alex einen prüfenden Blick zu. Aber dieser war ganz entspannt, lehnte lässig in seinem Sessel, die Beine großzügig, männlich, übereinandergeschlagen.
»Ja, ich weiß noch gar nicht, wo ich anfangen soll«, begann Jennifer und ihre Stimme kiekste ein wenig. Überrascht sah Brian zu ihr hinüber.
»Sie begann zu schreiben im Jahre 1611, da muß sie...«
»24 Jahre alt gewesen sein. Und sie war noch nicht verheiratet, was sehr ungewöhnlich war für ein Mädchen in dieser Zeit«, vervollständigte Alex lächelnd.
Jennifer strahlte ihn an. »Ja, das stimmt. Sie schrieb über Veränderungen in ihrem Leben, denn sie wußte Dinge, die sonst keiner ahnte. Die Beziehung ihres lieben Bruders Alexander zu seiner Halbschwester Marian gehörte wohl dazu. Und die heftige Auseinandersetzung Alexanders mit seinem Vater, woraufhin Alexander das Haus verließ, um nach London zu ziehen. Aber Marian war bereits schwanger, von ihrem eigenen Bruder.« Jennifer klang entrüstet, aber zugleich auch fasziniert. »Der Junge kam zur Welt, und er muß sehr viel Ähnlichkeit mit Alexander gehabt haben. Sie schreibt, sie habe ihn geliebt wie ihren eigenen Sohn. Und er habe ihre Zuneigung gebraucht, denn Marian war ihm zwar eine gute Mutter, doch sie sei nicht reif für eine derartige Belastung gewesen.«
Alex’ Augen füllten sich mit Tränen. Als er es bemerkte, täuschte er einen Hustenanfall vor und blinzelte die Tränen weg. Brian starrte ihn an.
»Alexander ließ sich mehrere Jahre nicht auf diesem Anwesen blicken. Seine Mutter starb in dieser traurigen Zeit, und Maude übernahm die Haushaltsführung. Der kleine Junge entwickelte sich prächtig, bis das Unfaßbare passierte: Er brach sich bei einem unglücklichen Sturz vom Pferd das Genick. Alle waren zutiefst schockiert, wie ich Maudes Sätzen entnehmen konnte. Marian kam aus ihrer Seelenpein nicht mehr heraus und versuchte sich umzubringen. Doch plötzlich war Alexander wieder da, und als hätte er einen heilsamen Einfluß auf seine Schwester, als hätte er ihr ein Zaubermittel verabreicht, erwachte Marian aus ihrer tiefen Bewußtlosigkeit. Sie ging mit Alexander nach London. Es sei auch das Beste gewesen, schreibt Maude. Sie sollte aus dieser Umgebung heraus, mal etwas anderes sehen.« Jennifer seufzte und schenkte ihren Besuchern Wein nach.
»Sie ist nie wieder auf dieses Anwesen zurückgekehrt. Sie schrieb einige Briefe an Maude, doch ihre Briefe müssen verbittert und unglücklich gewesen sein. Schließlich erfuhr Maude von Alexander, daß Marian mit einem sehr reichen Mann nach Amerika ausgewandert war. Und auch er wollte sich in Amerika niederlassen. Er übertrug ihr das volle Erbrecht. Und das war auch notwendig, denn ein
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