Julias Geheimnis
nicht. Ihrer eigenen Mutter hatte sie vielleicht nicht nahegestanden, aber Vivien war entschlossen, es selbst anders zu machen. Ihre Tochter würde sich ihr anvertrauen, sich auf sie verlassen können und sich an sie wenden, wennsie Probleme hatte. Sie würde nicht ohne ein Abschiedswort auf Weltreisen gehen und dann nicht einmal die einfache Höflichkeit besitzen, ihrer Mutter mitzuteilen, wo sie sich aufhielt und wie es ihr ging.
»Ich verstehe das«, sagte sie. »Aber ich finde, dass du dich irrst. Laura muss es erfahren.«
Pearl trank einen Schluck Wasser. Ihr Gesicht war viel bleicher als früher. Auch abgenommen hatte sie, wie Vivien jetzt feststellte. Ihre Oberarme waren dünn geworden, und die Haut hing in Falten von ihnen herunter. »Sie war wütend, als sie gefahren ist«, erklärte sie schließlich leise.
Vivien nickte. »Ich weiß.« Ihre Eltern hatten sich getrennt, und natürlich war Laura wütend. Aber es war nicht Pearls Schuld gewesen. Derek, ihr Mann, hatte sie ständig betrogen, und es war nur eine Frage der Zeit gewesen, bis Pearl davon genug hatte. Ehen zerbrachen nun einmal. Es war schwer für alle, die damit zu tun hatten. Aber war es richtig, wegen der Kinder zusammenzubleiben, wenn man sich nicht mehr liebte? Nein, war es nicht, es war unaufrichtig, fand Vivien. Und früher oder später würden die Kinder immer herausfinden, welche Lügen ihre Eltern ihnen erzählt hatten. Sie begriff, dass es nicht immer so einfach war. Es war schwierig, und es war kompliziert.
»Ich war diejenige, die unbedingt ein Kind wollte.« Pearl lächelte betrübt, als erinnere sie sich an diese Zeit zurück. »Bei dir ist das etwas anderes, Liebes. Dein Tom ist ein guter Mann.« Sie schüttelte den Kopf. »Aber ich wusste, wie Derek war. Und ich hätte mich einfach damit abfinden können. Vielleicht hätte ich das tun sollen.«
Vivien nahm ihre Hand. »Du musst dein eigenes Leben führen«, sagte sie. »Tun, was für dich richtig ist.«
»Und wenn es nicht das Richtige für Laura war?« Pearls Blick glitt an Vivien vorbei ins Leere, so als sehe sie ihre Tochter vor sich – wo immer sie sein mochte.
»Laura wird es schon verstehen«, meinte Vivien. »Irgendwann.« Kinder kamen über so etwas hinweg. Es blieb ihnen gar nichts anderes übrig.
Pearl warf ihr einen Blick zu, als wolle sie sagen: Was weißt du schon? Schließlich hatte Vivien kein Kind. Vielleicht konnte sie gar keines bekommen. Doch davon erzählte sie Pearl nichts. Hätten Mutter und Tochter überhaupt genug Zeit, ein neues Verständnis füreinander zu entwickeln? Vivien wusste nicht, wie viel Zeit Pearl noch hatte oder wann Laura nach Hause kommen würde.
Aber Pearl wirkte nicht überzeugt. »Ich möchte auch nicht, dass du allen hier davon erzählst, Vivien. Ich brauche kein Mitleid. Ich komme allein zurecht.«
Vivien nahm Pearls Hand. Sie tat ihr so leid. »Das mache ich nicht«, sagte sie. Aber sie würde etwas unternehmen müssen.
Sie erzählte Tom später davon, als sie eng umschlungen im Bett lagen. Zwischen ihnen schien wieder alles in Ordnung zu sein, doch in dem Streit hatte sich ihr kurz auch eine andere Seite des Mannes offenbart, den sie geheiratet hatte, und er hatte ihr gezeigt, auf welch tönernen Füßen manche Dinge standen, die man für in Stein gehauen, unumstößlich und unzerstörbar hielt.
»Die arme Frau.« Er streichelte Viviens Haar. »Ich gehe vorbei und biete ihr an, ihr den Rasen zu mähen. Ich frage auch mal nach, ob am Haus irgendetwas zu machen ist.«
»Danke, Schatz.« Sie drückte seine Schulter. »Aber du darfst nicht …«
»Nein.« Er nahm ihr Kinn und drehte ihr Gesicht so, dass sie ihm in die Augen sah. »Ich werde der Inbegriff von Diskretion sein. Ich kann auch sensibel sein, weißt du.«
»Ich weiß.« Sie hielt seinem Blick stand.
»Und wegen dieser Untersuchungen …«
»Das ist nicht so wichtig.« Sie wandte das Gesicht ab. Sie wollte nicht reden, nicht streiten. Wenn es ihnen nicht bestimmt war, Kinder zu haben, dann war es eben so. Deswegen würde sie nicht ihre Ehe zerstören. Das war es nicht wert.
»Doch, das ist es, Liebling.« Er nahm ihr Gesicht in beide Hände, sodass sie ihn ansehen musste. »Für dich ist es doch wichtig, ein Kind zu bekommen, oder?«
Sie zuckte die Achseln. »Ja«, murmelte sie halblaut. Oh ja.
»Dann lassen wir uns untersuchen. Ich wünsche mir nämlich auch ein Kind, weißt du.«
»Wirklich?« Gott sei Dank, dachte sie.
»Ja.«
Sie schmiegte sich
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