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Julias Geheimnis

Julias Geheimnis

Titel: Julias Geheimnis Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Juliet Hall
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bei einem Kaffee zusammensaßen, wenn der alte Mann nicht zu Hause war. Seine Mutter gab die Neuigkeiten an Isabella weiter, obwohl er seine Schwester auch ab und zu anrief und sie ihm gelegentlich mit langen Briefen antwortete. Doch sie passte grundsätzlich auf, und er spürte immer, dass sie sich zurückhielt. Als wolle sie nicht riskieren, sich den Zorn ihres Vaters zuzuziehen. Als dürfe sie erst wieder eine richtige Verbindung zu ihm aufnehmen, wenn er wieder in den Schoß der Familie aufgenommen war.
    Er berichtete seiner Mutter auch von dem letzten Haus, das er renoviert hatte. Er hatte es gekauft und es so hergerichtet, dass es kaum wiederzuerkennen war. Dann hatte er es wieder verkauft. Das hat mir ein gutes Gefühl gegeben   … Wenigstens etwas, bei dem er sich gut fühlte. Andrés hatte von den steigenden Immobilienpreisen der späten 1990er-Jahre profitiert. Er hatte das heruntergekommene einstöckige Haus mit zwei Räumen im Erdgeschoss und in der ersten Etage oben praktisch umsonst erworben. Den Tipp hatte er von einem seiner Kunden bekommen. Er war alles andere als ein Immobilienhändler, aber er hatte sich nicht allzu schlecht geschlagen.
    Er hatte ihr auch von dem neuen Objekt am Meer erzählt, das er in der Pride Bay entdeckt hatte. Er fasste in seine Jackentasche, um sich zu vergewissern, dass der Prospekt für die Auktion noch dort steckte. Dieses Haus hatte ihn sofort angesprochen, und er hatte beschlossen, darauf zu steigern. Warum auch nicht? Es hatte eine herrliche Aussicht.
    »Das hört sich wunderbar an, mein Sohn«, hatte sie gesagt, und ihre Stimme hatte stolz geklungen.
    Bei dem Gedanken an das heruntergekommene Häuschen hatte er gelächelt. »Wunderbar« war nicht ganz das passende Wort dafür. Aber vielleicht, eines Tages   … Er war auf der Suche nach einem neuen Projekt gewesen. Und irgendwie erinnerte ihn dieses Cottage an zu Hause.
    »Wie geht es so, Mama?«, hatte er sie gefragt. » Qué tal? «
    Er hörte, wie sie innehielt, und verstand. »Aha«, sagte er.
    »Mir geht es ganz gut, mein Sohn«, gab sie zurück. »Aber es hat sich nichts geändert.«
    Er wusste, dass sie ihm nie widersprechen würde. Sie war noch vom alten Schrot und Korn. Bei Andrés war das etwas anderes. Er gehörte der jüngeren Generation an und war vielleicht zum Rebellen geboren. Er würde immer alles hinterfragen, er konnte gar nicht anders.
    »Und Isabella?«, fragte er und dachte an seine Schwester mit dem liebreizenden Gesicht. Auch sie würde sich niegegen ihn auflehnen. Er war sich nicht sicher, ob aus Liebe oder Angst.
    »Gut«, antwortete seine Mutter. »Sie wünscht sich immer noch ein Kind.«
    Arme Isabella. Sie war inzwischen seit zehn Jahren verheiratet. Das musste schwer für sie sein. Denn für die Majoreros , die Bewohner von Fuerteventura, war die Familie das Wichtigste   – Familie und Kinder. Andrés teilte diese Einstellung nicht. Aber Andrés hatte sich immer als Fremdkörper in seiner Familie gefühlt. Er hatte nie den Eindruck gehabt, wirklich zu ihr zu gehören. Vielleicht weil sein Vater ihm dieses Gefühl gegeben hatte.
    Es war früher Abend geworden, und die Sonne senkte sich bereits. Andrés beschattete seine Augen und sah zu, wie die Klippen die Farbe wechselten: von einem kräftigen Lebkuchenbraun zu einem hellen, zuckrigen Gold. Obwohl sein Kaffee kalt geworden war, nahm er einen letzten Schluck. Er mochte ihn stark und schwarz, deshalb nahm er immer einen doppelten Espresso. Das Mädchen hinter der Theke wusste dies und fragte ihn nicht mehr nach seinen Wünschen.
    Andrés sah aufs Meer hinaus und bemerkte, dass die Frau von der Klippe in der Zwischenzeit die Bucht erreicht hatte und auf das Café zuging. Sie trug eine große, weiße Sonnenbrille, die sie hochgeschoben hatte, und er sah, dass ihre Augen rot waren, als hätte sie geweint. Sie war nicht schön, aber eine auffallende Erscheinung. Die Unbekannte war klein und schmal und wirkte selbstbewusst. Ihr Gang und ihre Haltung strahlten Würde aus, und ihre Art, sich zu kleiden, hatte etwas Exzentrisches, das sein Interesse weckte. Rote Jacke, schwarze Jeans, weiße Sonnenbrille und pinkfarbene Wanderstiefel   – das war schon eine gewagte Kombination.
    Sie suchte sich einen Weg zwischen den Tischen, und er spürte, wie ihr Blick über ihn hinwegglitt. Warum war sie traurig? Er konnte es in ihren Augen sehen, und es schmerzte ihn tief in der Brust, als hätte es die Erinnerung an seine eigene Verletzung

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