Julias Geheimnis
aufgerührt. Ob er sie schon einmal gesehen hatte? Wenn, dann war es lange her. Ganz sicher war er ihr nicht in letzter Zeit begegnet – daran hätte er sich erinnert.
Sie betrat das Café. Andrés riss sich von ihrem Anblick los, denn vermutlich würde er sie ohnehin nie wiedersehen. Er schob seine Kaffeetasse beiseite und stand auf, um zu gehen. Er musste endlich mit der Arbeit anfangen – mit der Arbeit, die ihm wirklich wichtig war. Ein paar von den anderen würden auch im Atelier sein. Sie würden bis acht oder neun arbeiten und dann ein Bier trinken und vielleicht etwas essen gehen.
Er dachte an sein letztes Gespräch mit Mama. Beinahe hätte er zu viel gesagt. Er hatte sich immer gefragt, ob es jetzt, wo er so weit fort war, möglich sein würde, manches offen auszusprechen, was in einer Familie vielleicht gesagt werden musste. Aber schließlich hatte er geschwiegen. Das war das Problem. War es nicht immer einfacher, nichts zu sagen? War es nicht immer leichter, den Schein zu wahren?
7. Kapitel
R uby fuhr von London zurück nach West Dorset. Ihr ganzes Hab und Gut hatte sie in den Laderaum des kleinen Transporters gestopft, den sie für einen Tag gemietet hatte. Mäntel, Schals und anderer Kleinkram lagen auf dem Beifahrersitz neben ihr. Außer ihr hatten an diesem speziellen Tag noch unzählige andere Menschen einen Transporter mieten wollen. Es musste irgendetwas los sein, von dem ihr niemand erzählt hatte.
»Einen haben wir noch«, erklärte ihr der Mann der dritten Firma, bei der sie es versucht hatte. »Solange sie bei der Farbe nicht wählerisch sind.«
»Bin ich nicht«, sagte Ruby.
Er war pink. Knallpink, um genau zu sein. Das grelle Neonpink sorgte dafür, dass sie auffiel. Seit sie heute Morgen um acht aufgebrochen war, hatte man ihr zugewinkt, sie angehupt und angeglotzt. Aber es war ein sonniger Tag, und es amüsierte sie eher. Was hatte die Farbe schon zu sagen? Ruby hatte einen einzigen Blick auf den Transporter geworfen, sich einen geblümten Vintage-Schal ums Haar gebunden und war hineingeklettert.
Es herrschte viel Verkehr, aber auch das machte ihr nichts aus. So hatte sie Gelegenheit, ihre Gedanken zu ordnen. Und es gab eine Menge Dinge, über die sie nachdenken musste. Mel hatte ihr empfohlen, praktisch zu denken, daher hatte Ruby in Pridehaven den Filialleiter der Bank aufgesucht und ihre Finanzen in Ordnung gebracht. Alan Shaw war ein alter Freund ihrer Eltern und sowohl verständnisvoll als auch hilfsbereit. Das Haus ihrer Eltern war abbezahlt, daher hatte Alan keine Einwände dagegen, dass Ruby es zum Verkauf anbot. Was das Küstenwachenhäuschen und die Auktion anging, so konnte er ihr nichts Neues sagen, aber er versicherte ihr, dass genug Geld für dieses Projekt übrig bleiben würde, wenn sie sich dabei an ihr geplantes Budget hielt.
»Und was hast du sonst noch vor, Ruby?« Alan lächelte onkelhaft.
Ruby fragte sich, wie es sich anfühlte, so viel über anderer Leute Finanzangelegenheiten zu wissen. Ihm schien es jedenfalls nicht unangenehm zu sein.
»Ich nehme an, du wirst weiterarbeiten?«
»Oh ja, natürlich.« So viel Geld würde nun auch wieder nicht übrig bleiben. Ihre Eltern waren nie wohlhabend gewesen. Aber ihr Vater hatte etwas Geld geerbt, und die beiden hatten nicht zu den Menschen gehört, die verschleuderten, was sie hatten. Aber wenn sie wieder arbeiten würde, würde es mehr als ausreichen. Gestern war sie noch einmal an dem Cottage vorbeigegangen; sie war die Klippen hinunter zum Hide-Café gewandert. Sie war so oft mit ihren Eltern hier gewesen, dass es eine ziemliche emotionale Wanderung gewesen war. Aber sie hatte sie unternehmen wollen. Es war Teil der Trauerarbeit, sagte sie sich.
Sie hatte sich außerdem nach Arbeit umgehört und bereits mehrere Artikel in Aussicht. Ein monatlich erscheinendes Hochglanzmagazin hatte ihr vorgeschlagen, für einen Artikel über gleiche Bezahlung am Arbeitsplatz zu recherchieren. Früher war das eine Geschlechterfrage gewesen, dann war es eine Zeit lang auf die Qualifikation angekommen, heute hingegen lief es häufig allein auf das persönliche Verhandlungsgeschick hinaus. Der Mensch, der am Schreibtisch nebenan saß, konnte die gleiche Arbeit machen und trotzdem ein vollkommen anderes Gehalt beziehen. Ruby fand das ziemlich ungerecht. Dann gab es noch die üblichen Angebote für Artikel über Reisen, Gesundheit und Inneneinrichtung. Sie hätte lieber etwas anderes gemacht, deshalb war sie später mit
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