Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Julias Geheimnis

Julias Geheimnis

Titel: Julias Geheimnis Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Juliet Hall
Vom Netzwerk:
erhellte die Welt. »Das ist wunderbar«, pflichtete Schwester Julia ihr bei. »Ich freue mich für dich, meine liebe Schwester.«
    Paloma wedelte mit der linken Hand vor ihr herum, und Schwester Julia sah den Ring. Er war klein, aber hübsch. »Möchtest du nicht wissen, wer der Glückliche ist?«, fragte Paloma.
    »Aber ja.«
    Paloma beugte sich vor. »Mario Vamos«, flüsterte sie.
    »Unser Nachbar?«, fragte Schwester Julia, ohne nachzudenken. Es war lange her, seit sie Mario Vamos beobachtet hatte, wie er mit den anderen Jungen lachte, und diesen nachdenklichen Ausdruck in seinem Blick gesehen hatte. Sie dachte über die Neuigkeiten nach. Sogar als Jugendlicher war er schon von sich eingenommen und arrogant gewesen. Erwar genau die Art junger Mann, von der sie vermutet hatte, dass Paloma sich in sie verlieben würde. Und verliebt war sie eindeutig. Ihre dunklen Augen strahlten vor Liebe.
    »Paloma hat Glück«, sagte Mama rasch. »Sie heiratet aus Liebe.«
    »Oh ja«, hauchte Paloma. »Ich liebe ihn, Julia, wirklich. So lange liebe ich ihn schon.«
    Schwester Julia freute sich für sie. Denn dieser Blick, den Mario Vamos ihr einmal zugeworfen hatte, lag weit in der Vergangenheit. Und vielleicht hatten ihn ja die Umstände im Barcelona der Nachkriegszeit zu einem besseren Menschen gemacht.
    Auf den Straßen der Stadt fuhren jetzt mehr Autos und Motorräder, und es war laut, sogar am frühen Morgen, wenn noch nicht viele Menschen unterwegs waren. Sogar um diese Zeit war die Luft schon mit Abgasen geschwängert. Auf den Ramblas bauten die Schuhputzer und Losverkäufer ihre Stände auf, und Straßenkehrer fegten den Schmutz des vorigen Tags weg. In den Bars und Cafés brummte das Morgengeschäft. Die Obst- und Gemüsestände hatten bereits geöffnet und warteten auf Kunden. Schwester Julia blickte zu einer Reklamewand hoch und sah etwas, das als Wundergerät der Zukunft angepriesen wurde: einen Fernseher. Ob die Menschen so etwas haben wollten? Ihre Familie hatte immer gern Radio gehört. Sie vermutete, dass es ähnlich war, nur dass es zusätzlich Bilder gab. Würde denn gar nichts mehr der Fantasie überlassen bleiben?
    Mehr denn je wurde Schwester Julia bewusst, dass ihre Familie in einer anderen Welt lebte. Ihre eigene Welt waren Santa Ana und die Klinik, nichts sonst. Aber trotzdem liebtesie ihre Geburtsstadt immer noch, auch wenn Barcelona sich veränderte. Als sie um die Ecke bog, hörte sie das Läuten des Schaffners und sah die blaue Straßenbahn anfahren; manche Dinge veränderten sich nie. In Barcelona lag immer noch der Duft des Meeres in der Luft, doch wenn man genau hinsah, konnte man auch die Einschläge in den Kirchenwänden sehen, die von Maschinengewehrfeuer stammten. Das Herz ihrer Stadt war verletzt worden. Vielleicht musste sie sich wandeln, um zu überleben.
    Schwester Julia ging an einem Zeitungsverkäufer vorbei. Sie verlangsamte den Schritt und versuchte, einen Blick auf die Schlagzeile zu erhaschen. Der Name Hitler fiel ihr ins Auge. Aha. Anscheinend ging der andere Krieg   – der Weltkrieg   – endlich zu Ende. Und das war noch nicht alles.
    Gestern war sie auf dem Rückweg nach Santa Ana vor einem Café stehen geblieben und hatte einem Gespräch zwischen zwei Männern gelauscht, die an einem der Tische im Freien saßen. Sie war zwar Nonne, aber sie wollte immer noch wissen, was die Menschen über Spanien sagten. Es war genau wie früher zu Hause, als sie oben auf der Treppe zu sitzen und ihre Eltern zu belauschen pflegte. Obwohl sie ihr Leben Gott geschenkt hatte, war Spanien immer noch ihr Land, oder?
    »Schlechte Zeiten«, hatte der eine zu seinem Gefährten gesagt. »Haben Sie von der neuesten Ernennung gehört?« Verstohlen blickte er sich um.
    Schwester Julia versuchte, mit der Steinwand zu verschmelzen, vor der sie stand. Aber sie hätte sich keine Gedanken zu machen brauchen. In ihrem Nonnenhabit war sie praktisch unsichtbar, und der Mann schien fest davon überzeugt, dass niemand zuhörte.
    Trotzdem sprach sein Begleiter noch leiser. »Jeden Tag werden mehr Regierungsposten an katholische Politiker vergeben«, murmelte er. » Sí, sí. Und wir wissen ja, was das bedeutet.«
    Was sollte das heißen? Schwester Julia runzelte die Stirn. Wahrscheinlich, dass dadurch die Macht der Kirche größer wurde. Oder die Regierung katholischer. War das ein und dasselbe? Sie war sich nicht ganz sicher. Una, grande y libre   – geeint, groß und frei. So lautete Spaniens neues Motto. Wie

Weitere Kostenlose Bücher