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Julias Geheimnis

Julias Geheimnis

Titel: Julias Geheimnis Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Juliet Hall
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ihr am stärksten zu Herzen. Ihre Schwester schien diese strahlende Lebenslust eingebüßt zu haben, die so typisch für sie war. Wie hatte es in nur sechs Jahren so weit kommen können?
    Wie immer saßen sie sich in dem Raum neben der Eingangshalle mit einem gewissen Abstand gegenüber, während sie ihre Neuigkeiten austauschten. Eine Cousine, die sie kaum gekannt hatte, war gestorben. Eine ehemalige Arbeitskollegin ihrer Mutter hatte ihren Mann verloren. Schwester Julia schwieg zu all dem. Wahrscheinlich hatte sie sich daran gewöhnt, anderen zuzuhören, dachte sie. Sogar in der Klinik sprach sie wenig und nie von sich selbst.
    »Wie geht es Papa?«, fragte sie schließlich doch.
    »Seine Gesundheit ist nicht mehr das, was sie einmal war«, räumte ihre Mutter ein. »Aber seine Last ist ein wenig leichter geworden.«
    Paloma schnaubte verächtlich. »Jetzt braucht er sich schließlich keine Gedanken mehr über seine Töchter zu machen«, meinte sie.
    Matilde sah Julia ins Gesicht. »Du bist diejenige von uns, die Glück gehabt hat«, erklärte sie.
    Schwester Julia senkte den Kopf. Ganz offenbar waren ihre Schwestern unglücklich. Daher stimmte das, was Matilde gesagt hatte, wahrscheinlich. Damals hätte das wohl niemand gedacht.
    »Für dich ist es nicht so schlimm, Matilde«, entgegnetePaloma ihrer älteren Schwester. »Dein Mann liebt dich wenigstens.«
    Schwester Julia sah sie verblüfft an. Schließlich hatte Paloma aus Liebe geheiratet. »Wie geht es Mario?«, fragte sie vorsichtig.
    Paloma wandte den Blick ab. Doch dieses Mal strahlte keine Liebe aus ihren Augen. Schwester Julia fürchtete sogar, sie würde in Tränen ausbrechen. Das Leben an der Seite des gut aussehenden, charmanten Mario Vamos hatte sich eindeutig nicht so entwickelt, wie es sich ihre lebenslustige, hübsche Schwester erhofft hatte.
    »Sie haben keine Kinder«, sagte ihre Mutter, als erkläre das alles.
    Schwester Julia war verwirrt. Paloma war noch keine sechs Jahre verheiratet. Wieso mussten Mario und sie denn unbedingt jetzt schon Kinder bekommen? Die beiden waren noch jung. Konnte so etwas ein Grund dafür ein, dass die Liebe zwischen Ehegatten schwand?
    Paloma zuckte mit den schmalen Schultern. »Deshalb streunt er jetzt schon herum.«
    Sie ließ es klingen, als mache es ihr nichts aus. Doch Schwester Julia kannte ihre Schwester. Ihr gutes Aussehen und ihre Fähigkeit, anderen sklavische Ergebenheit abzunötigen, bildeten den Kern ihres Wesens. Wenn beides nicht mehr wirkte, war sie verloren. Schwester Julia dachte daran, wie Mario Vamos sie als Jugendlicher immer beobachtet hatte. Zweifellos sah er auch andere Frauen so an. Es klang nicht so, als ob er sich sehr verändert hätte.
    Matilde betrachtete ihre langen, rot lackierten Fingernägel. Sie waren perfekt manikürt. »Vielleicht solltest du dankbar sein, dass er nichts mehr von dir will«, sagte sie zu Paloma.
    Du meine Güte. Schwester Julia versuchte zu verbergen, dass sie schockiert war. War es tatsächlich schon so lange her, dass sie solche Reden gehört hatte? Offensichtlich ja. Die Welt, in der sie lebte, war so verschieden von der ihrer Schwestern, dass es ihr fast vorkam, als sprächen sie unterschiedliche Sprachen.
    »Matilde   …«, tadelte ihre Mutter sie sanft.
    »Warum sollte ich es nicht sagen? Miguel ist abstoßend!« Matilde erschauerte. »Du weißt es. Jeder Narr kann es sehen. Mein Leben besteht nur aus Regeln. Was ich sagen soll, wie ich mich benehmen muss, wann wir zu Abend essen oder einen Spaziergang machen. Ihr habt ja keine Ahnung, wie das ist. Und im Schlafzimmer, ihr ahnt ja nicht, was ich tun muss   …«
    Schwester Julia errötete. Sie hoffte, dass Matilde nicht weitersprechen würde, sonst musste sie die Frauen zum Gehen auffordern. Solche Reden durften in Gottes Haus nicht geführt werden.
    »Pssst«, sagte ihre Mutter. »Wir haben alle Opfer gebracht. So ist die Welt, in der wir leben.«
    Allerdings, dachte Schwester Julia. So war die Welt, in der sie lebten.
    »Aber sieh dich an, Julia«, sagte Paloma.
    Und alle drei schauten sie an. Was sie wohl sahen? Es war unmöglich, das zu beurteilen. Aber wenigstens war sie für ihre eigene Familie nicht unsichtbar. Sie schienen nicht von ihr zu erwarten, dass sie viel sagte, aber sie sprachen zumindest mit ihr. Und immerhin hatten sie sie im Lauf der Jahre gelegentlich besucht.
    » Sí, sí   …« Matilde nickte zustimmend. »Du hast eine Aufgabe in der Gesellschaft, die so viel wichtiger ist, als

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