Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen

Julie oder Die neue Heloise

Titel: Julie oder Die neue Heloise Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jean-Jacques Rousseau
Vom Netzwerk:
daß er von dem, was man sagt, mehr Wesen macht, als von dem, was man thut. Jemand, der aus einem Stücke des Tyrannen Dionys kam, sagte: Ich habe Nichts gesehen, aber viel Redens gehört
[Plutarch „Vom Hören" Cap. 7. Der Tyrann Dionys ist nur vermuthungsweise zum Verfasser jenes Stückes gemacht morden; die gewöhnliche Leseart an der betr. Stelle hat den Namen Diogenes, und es gab auch einen Tragiker dieses Namens in Athen. Die Stelle bei Plutarch lautet: ,,Melanthius soll auf die Frage, was er zu dem Trauerspiel des Diogenes meine, geantwortet haben: Ich kann vor allem Wortschwall nichts sehen." D. Ueb.]
. Dasselbe kann man sagen, wenn man aus dem französischen Schauspiel kommt. Racine und Corneille sind, bei all ihrem Genie, nichts weiter, als Phrasenmacher, und ihr Nachfolger ist der erste, der, nach englischem Muster, manchmal Handlung auf die Bühne zu bringen gewagt. Gemeinhin verläuft Alles in schönen, wohlgesetzten, hochtrabenden Reden und Gegenreden, bei denen man vor allen Dingen sieht, daß jede der redenden Personen nichts Angelegentlicheres zu thun hat, als zu brilliren. Fast Alles wird in Gemeinsprüchen gesagt. In welcher Aufregung die Leute sein mögen, immer denken sie mehr an das Publikum als an sich; eine Sentenz wird ihnen nicht so sauer als ein Ausdruck des Gefühls; Racine und Molière
[Es ist Unrecht, hier Molière und Racine zusammenzustellen; denn der Erstere ist, wie alle Anderen voller Maximen und Sentenzen, sonderlich in seinen gereimten Stücken; aber bei Racine ist Alles Empfindung; er hat es verstanden, Jeden für sich sprechen zu lassen, und er ist darin wahrhaft einzig unter den Dramatikern seiner Nation.]
ausgenommen ist das „Ich" fast ebenso verpönt auf der französischen Bühne als in den Schriften von Port-Royal
[S. „Bekenntn." Th. 3. S. 89. Anm. D. Ueb. ]
, und die menschlichen Leidenschaften, bescheiden wie die christliche Demuth, sprechen nie anders als in „Man". Dazu kommt noch eine gewisse manierirte Würde in der Haltung und Ausdrucksweise, welche der Leidenschaft nie erlaubt, ihre eigene Sprache zu sprechen, noch dem Schauspieler, die Person, die er darstellt, anzuziehen und sich an den Ort der Handlung zu versetzen, sondern ihn stets an die Bretter gefesselt und unter den Augen des Zuschauers hält. Auch bei den lebendigsten Situationen vergißt er niemals, schön zu declamiren und geschmackvolle Stellungen zu machen, und hat ihm die Verzweiflung einen Dolch ins Herz gestoßen, so begnügt er sich nicht damit, wie Polyrena
[Vriam's Tochter, die auf dem Grabe des Achill geopfert wird und noch im Niederfallen Sorge trägt, sich schamhaft zu verhüllen. S. Ovid's Metamorph. 13. V. 478 und 479. D. Ueb.]
, mit Anstand zu fallen, nein, er fällt gar nicht; der Schicklichkeit zu Liebe bleibt er todt stehen und alle, die auf dem Theater sterben, gehen im nächsten Augenblick auf ihren Beinen davon.
    Das Alles kommt daher, weil der Franzose auf der Bühne nicht Natürlichkeit und Täuschung sucht, sondern nur etwas Geistreiches und Gedanken verlangt; er legt auf die zierliche Form, nicht auf die Nachahmung des Gegenstandes Werth, und will nicht hingerissen, sondern nur gut unterhalten sein. Niemand geht in's Schauspiel, um sich am Schauspiel zu vergnügen, sondern um Gesellschaft zu sehen und gesehen zu werden, um Stoff zum Geklatsche nach der Vorstellung zu sammeln; und man denkt bei dem, was man sieht, nur was sich darüber wird sagen lassen. Der Schauspieler ist ihnen immer der Schauspieler, nie die Person, welche er vorstellt. Dieser Mensch, der sich als der Gebieter der Welt vernehmen läßt, ist nicht Augustus, sondern Baron, des Pompejus Witwe ist Adrienne, Alzire ist Mademoiselle Gaussin und dieser trotzige Wilde Grandval. Die Schauspieler denken ihrerseits nicht daran, eine Täuschung hervorzubringen, weil sie sehen, daß danach Niemand fragt, Sie stellen die Helden des Alterthums zwischen sechs Reihen junger Pariser, stoppeln die französischen Moden auf das Römergewand; man sieht Cornelia in Thränen mit zwei Finger hoch Roth,Caro weiß gepudert und Brutus
en panier
. Das Alles fällt keinem Menschen auf und thut dem Effect der Stücke keinen Eintrag. Wie in der handelnden Person nur der Schauspieler, so sieht man in dem Drama nur den Verfasser, und wenn auf Costüm nicht gehalten wird, so ist das leicht zu verzeihen, denn man weiß doch, daß Corneille kein Schneider und Crebillon kein Perruquier war.
    Also von welcher Seite ich die Dinge auch betrachten

Weitere Kostenlose Bücher