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Julie oder Die neue Heloise

Titel: Julie oder Die neue Heloise Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jean-Jacques Rousseau
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wir das Thema im Allgemeinen durch, als wenn dabei von einem Dritten die Rede wäre. Robeck faßte eine Vertheidigung des freiwilligen Todes ab, ehe er ihn sich gab. Ich will nicht, gleich ihm, ein Buch schreiben, bin auch mit dem seinigen nicht sonderlich einverstanden, aber ich hoffe es ihm an Kaltblütigkeit bei dieser Untersuchung nachzuthun
[Jos. Robeckii Exercitatio de morte voluntaria erschienen Rinteln 1736, nachdem der Verfasser im Jahre zuvor sich in Bremen den Tod in der Weser gegeben hatte. Er war zu Kalmar in Schweden 1672 geboren, Jesuit und Missionar gewesen, und nach einem längeren Aufenthalte in Rinteln, wo er zuletzt seine ganze Habe vertheilte, nach Bremen gegangen, um sich das Leben zu nehmen. D. Ueb.]
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    Ich habe lange über diesen ernsten Gegenstand nachgedacht; Sie müssen es wissen, denn Sie kennen mein Schicksal, und ich lebe noch. Je mehr ich ihn überlege, desto mehr finde ich, daß sich die Frage auf folgenden Hauptsatz zurückführen läßt: Sein eigenes Wohl suchen und sich dem Uebel entziehen, soweit es geschehen kann, ohne Anderen zu schaden, ist ein natürliches Recht. Wenn daher unser Leben ein Uebel für uns, und für Niemanden ein Gut ist, so muß es erlaubt sein, unsdavon zu befreien. Wenn es einen klaren und unumstößlichen Satz auf der Welt giebt, so ist es meiner Meinung nach dieser; und könnte es gelingen, ihn umzustoßen, so würde keine menschliche Handlung mehr sein, die man nicht zu einem Verbrechen stempeln könnte.
    Was sagen darüber unsere Sophisten? Erstlich betrachten sie das Leben als eine Sache, die nicht uns gehört, weil sie uns geschenkt ist; aber gerade weil sie uns geschenkt ist, gehört sie uns. Hat ihnen Gott nicht zwei Arme gegeben? Und doch lassen sie sich, wenn sie den kalten Brand fürchten, einen oder nötigenfalls beide abnehmen. Beide Fälle sind für Den, der an Unsterblichkeit der Seele glaubt, vollkommen gleich; denn wenn ich meinen Arm opfere, um etwas Kostbareres zu retten, nämlich meinen Leib, so opfere ich meinen Leib, um wiederum etwas Kostbareres zu retten, nämlich mein Wohl. Wenn alle Gaben, die uns der Himmel verliehen hat, von Natur Güter für uns sind, können sie doch auch ihrer Natur nach diesen Charakter nur zu leicht verlieren, und der Himmel hat ihnen die Vernunft beigesellt, damit wir sie unterscheiden lernen. Wenn diese Richtschnur uns nicht berechtigte, die einen zu wählen, die andern zu verwerfen, wozu wäre sie dann dem Menschen nütze?
    Den genannten Einwurf, der so wenig Halt hat, bringen sie in tausend Wendungen wieder. Sie betrachten den Menschen auf Erden als einen Soldaten auf dem Posten. Gott, sagen sie, hat dich in diese Welt gesetzt; wie darfst du sie ohne Urlaub verlassen? Wie, und du? Hat er doch dich in deinen Geburtsort gesetzt; wie darfst du ihn ohne Urlaub verlassen? Ist der Urlaub nicht durch das Uebelbefinden gegeben? Wohin er mich setze, in einen Leib oder auf die Welt, es ist immer nur, um so lange zu bleiben, als ich mich wohlbefinde, und die Lage zu wechseln, sobald es mir übel geht. Das ist die Stimme der Natur, und die Stimme Gottes. Man muß Geheiß abwarten, ich gebe es zu; aber gerade wenn ich eines natürlichen Todes sterbe, zieht mir Gott nicht Geheiß, das Leben zu verlassen, er nimmt es mir vielmehr; dagegen dadurch, daß er es mir unerträglich macht, heißt er es mich verlassen. Im ersteren Falle widerstehe ich aus allen Kräften, im zweiten habe ich das Verdienst, zu gehorchen.
    Wie kann es nur Leute geben, die so unbillig sind, freiwilligen Tod als Auflehnung gegen die Vorsehung zu rügen, gleich als wollte man sich dadurch ihren Geboten entziehen? Im Gegentheil, nicht um sich ihnen zu entziehen, entzieht man sich dem Leben, sondern um sie zu erfüllen. Wie denn? Hat Gott nur über meinen Leib Macht? Giebt es irgend einen Ort auf der Welt, wo irgend ein Geschöpf nicht in seiner Hand stände? Und wird er weniger unmittelbar auf mich einwirken, wann mein geläutertes Wesen mehr Eines, und ähnlicher dem seinen sein wird? Nein, seine Gerechtigkeit und seine Güte sind der Grund meiner Hoffnung, und wenn ich glaubte, daß der Tod mich seiner Macht entziehen könnte, so würde ich nicht sterben mögen.
    Dies ist eines der Sophismen im Phädon, der übrigens voll erhabener Wahrheiten ist. Wenn sich der Sklave tödtete, sagt Sokrates zu Cebes, würdest du ihn nicht dafür bestrafen, wenn es möglich wäre, daß er dir dein Gut ungerechter Weise geraubt hat? Guter Sokrates, was sagst du uns da?

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