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Julie oder Die neue Heloise

Titel: Julie oder Die neue Heloise Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jean-Jacques Rousseau
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Gehört man nicht Gott mehr an, wenn man todt ist? Es ist gerade umgekehrt; es müßte heißen: wenn du deinem Sklaven eine Kleidung auflädest, die ihm in dem Dienste, welchen er dir zu leisten hat, hinderlich ist, wirst du ihn bestrafen, wenn er das Kleid ausgezogen hat, um seinen Dienst besser zu verrichten? Der große Fehler ist, daß dem Leben zu viel Werth beigelegt wird, als ob davon unser Sein abhinge und man nach dem Tode nichts mehr wäre. Unser Leben ist nichts in den Augen Gottes, nichts in den Augen der Vernunft, und darf in den unsrigen nichts sein; und wenn wir unsern Leib verlassen, so thun wir nichts, als daß wir ein unbequemes Kleid ablegen. Ist es der Mühe werth, so viel Aufhebens davon zu machen? Milord, diese Leute gehen bei ihren Declamationen nicht ehrlich zu Werke; sinnlos und grausam zugleich in ihrer Betrachtungsweise, machen sie die vorgebliche Sünde schwer, als ob man sich das Dasein nähme, und bestrafen sie, als ob man es ewig hätte.
    Was den Phädon betrifft, der ihnen das einzige scheinbare Argument geliefert hat, das je von ihnen gebraucht worden ist, so wird dort die Frage nur obenhin und wie beiläufig behandelt. Sokrates, durch einen ungerechten Spruch verurtheilt, das Leben in einigen Stunden zu verlieren, hatte nicht nöthig, erst noch sorgfältig zu untersuchen, ob es ihm erlaubt sei, darüber zu verfügen.
[Dies ist unrichtig. Der Spruch War den athenischen Gesetzen gemäß, Sokrates war überführt, ,,andere Götter eingeführt und die Jugend verführt zu haben," dieses Alles nach der hergebrachten Anschauungsweise und Sitte des athenischen Volks betrachtet. Sokrates hatte eine innere Berechtigung, das Feststehende, Geltende in Athen anzutasten, aber das Volk hatte das Recht, weil er, wie man es jetzt zu nennen pflegt, negativ, subversiv zu Werke ging, ihn zu strafen. Daß Sokrates wegen jener ihm zur Last gelegten Vergehungen, wie häufig geglaubt wird, zum Tode verurtheilt worden wäre, ist ebenfalls unrichtig. Er zog sich die Todesstrafe dadurch zu, daß er sich weigerte, den Rechtsspruch anzuerkennen, und sich demselben zu entwerfen oder die Gnade des souveränen Volks in Anspruch zu nehmen. Xenophon erzählt den Hergang in der ,,Apologie des Sokrates" wie folg
t: ,,Es lag dem Sokrates nur daran, sich nicht als Gottesverächter und Zerstörer der sittlichen Verhältnisse darzustellen; dagegen hielt er nicht für nöthig zu bitten, um dem Tode zu entgehen, war viel mehr der Ueberzeugung, es sei für ihn Zeit, aus dem Leben zu scheiden. Daß er so dachte, wurde recht offenbar, als das Schuldig über ihn ausgesprochen war. Er wurde aufgefordert, sich selbst die Strafe zu bestimmen; er weigerte sich dessen, verbot es auch seinen Freunden, indem er erklärte, nur Dem stehe es an, sich die Strafe zu bestimmen, der sich für schuldig bekenne." Er hatte nämlich die Wahl zwischen Verbannung und Geldbuße; die Gnade des Volks konnte ihm beides erlassen; nur auf die Auflehnung gegen die öffentliche Ordnung stand der Tod, und Sokrates litt ihn, wie erzählt, um sich durch keinerlei Handlung schuldig zu bekennen. Er machte also einen höhern Begriff von Schuld geltend, als das athenische Volk ihn besaß, denn nach den herrschenden Begriffen war er allerdings schuldig, und machte sich durch seine Widersetzung gegen die öffentliche Ordnung noch weit schuldiger. D. Ueb.]
Gesetzt, er habe wirklich die Reden gehalten, die ihm Plato in den Mund legt, glauben Sie mir, Milord, er würde reiflicher darüber nachgedacht haben, wenn er in dem Falle gewesen wäre, sie unmittelbar in Anwendung zu setzen, und der Beweis, daß man aus diesem unsterblichen Werke keinen guten Einwurf gegen das Recht der freien Verfügung über sein eigenes Leben hernehmen kann, ist, daß Cato es zwei Mal von vorn bis hinten durchlas in der Nacht, in welcher er die Erde verließ.
    Unsere Sophisten werfen sodann die Frage auf, ob das Leben jemals ein Uebel sein könne. In Betrachtung der Masse von Verirrung, Qual und Laster, davon es strotzt, möchte man eher versucht sein zu fragen, ob es je ein Gut gewesen. Die Sünde setzt auch dem tugendhaftesten Menschen unaufhörlich zu; jeden Augenblick seines Lebens ist er auf dem Sprunge, eine Beute des Bösen oder selber böse zu werden. Kämpfen und leiden, das ist sein Schicksal in der Welt; schlecht handeln und auch leiden, das Schicksal des Ungerechten. In allem Uebrigen sind diese beiden von einander verschieden, gemein haben sie nur das Elend des Lebens. Wenn Sie

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