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Julie oder Die neue Heloise

Titel: Julie oder Die neue Heloise Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jean-Jacques Rousseau
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beide entbrannt waren, die ihre Brunst unter dem Scheine heiliger Begeisterung barg, um sie uns noch lieber zu machen und uns noch länger zu täuschen. Ich wage zu glauben, daß wir ganz dazu geschaffen waren, die Tugend zu lieben und zu üben, aber wir suchten sie auf falschem Wege und verfolgten einen leeren Schatten. Es ist Zeit, daß die Täuschung aufhöre, es ist Zeit, von einer Verirrung zurückzukommen, die nur schon zu lange gedauert hat. Mein Freund, diese Umkehr wird nicht schwer für Sie sein: Sie haben Ihren Führer in sich selbst; mögen Sie ihn vernachlässigt haben, aber Sie haben ihn nie von sich gestoßen, Ihre Seele ist gesund, sie hängt sich an Alles, was gut ist; und wenn ihr das Gute bisweilen entschlüpft, so kommt das nur daher, daß sie nicht ihre ganze Kraft angewendet hat, um es festzuhalten. Kehren Sie ein in Ihr Gewissen und sehen Sie zu, ob Sie darin nicht irgend ein vergessenes Prineip finden, welches dazu dienen könnte, all Ihr Thun mehr in Ordnung und Zusammenhang zu bringen. Es ist nicht genug, glauben Sie mir, daß die Tugend der Träger Ihrer Ausführung sei, wenn Sie nicht diesen Träger auf einen unerschütterlichen Grund bauen. Erinnern Sie sich jener Indier, welche die Welt auf einem riesigen Elephanten ruhen lassen, und dann den Elephanten auf einer Schildkröte, und wenn man sie fragt, worauf denn die Schildkröte ruhe, so wissen sie nicht mehr, was sie sagen sollen.
    Ich beschwöre Sie, auf das Wort Ihrer Freundin ein wenig zu achten, und einen sichereren Weg zum Glücke zu wählen als den, auf welchem wir so lange irre gegangen. Ich werde nicht aufhören, den Himmel für Sie und für mich um die wahre, reine Glückseligkeit anzuflehen, und werde nicht ruhig sein, bis ich sie für uns beide erlangt habe, Ach, wenn wir an unsere Jugendverirrungen wieder werden denken müssen, lassen Sie uns wenigstens dafür sorgen, daß die Umkehr, welche sie bewirkt haben, uns erlaube, an sie zu denken, und daß wir dann mit jenem Alten sprechen können: Ach wohl, wir würden zu Grunde gehen, wenn wir nicht zu Grunde gegangen wären
[Plutarch erzählt in den „Denksprüchen von Königen und Feldherrn", Themistokles habe, als er durch viele Geschenke schnell zu Reichthum gekommen war, das obige Wort zu seinen Kindern gesagt. D. Ueb.]
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    Die Predigerin ist mit ihrer Rede am Ende; sie wird nun genug zu thun haben sich selbst zu predigen. Leben Sie wohl, mein liebenswerther Freund, leben Sie wohl auf ewig; so heischt die unerbittliche Pflicht. Aber glauben Sie nur, Juliens Herz kann nicht vergessen, was ihm theuer war .... Mein Gott! was mache ich? .... Sie werden es dem Papiere nur zu sehr ansehen. O! ist es denn nicht erlaubt, weich zu sein, wenn man seinem Freunde das letzte Lebewohl sagt?
     
Einundzwanzigster Brief.
Von Juliens Liebsten an Milord Eduard.
    Ja Milord, es ist wahr, meine Seele ist erdrückt von der Last des Lebens. Seit lange schon ist es mir zur Last. Was es mir lieb machen konnte, habe ich verloren, es ist mir nichts geblieben, als seine Qual. Indeß es soll mir nicht erlaubt sein, wird gesagt, darüber zu verfügen, ohne das Geheiß Dessen, von dem ich es habe. Ich weiß auch, daß es Ihnen und zwar aus mehr als einem Grunde gehört; Sie haben es mir durch Ihre Fürsorge zweimal gerettet, und Ihre Wohltaten fristen es mir fortwährend, Ich werde nie darüber verfügen, wenn ich nicht sicher bin, daß ich es ohne Sünde thun kann, und solange mir die geringste Hoffnung bleibt, es für Sie zu verwenden.
    Sie sagten, ich wäre Ihnen nothwendig: warum hintergingen Sie mich? Seit wir in London sind, haben Sie, weit entfernt mich etwas für Sie thun zu lassen, sich nur mit mir zu thun gemacht. Wie viel überflüssige Mühe Sie sich geben! Milord, Sie wissen, ich hasse die Sünde noch mehr als das Leben; ich bete das ewige Wesen an. Ich verdanke Ihnen Alles, ich liebe Sie, ich hänge nur noch an Ihnen auf Erden. Die Freundschaft, die Pflicht können noch einen Unglücklichen an die Erde ketten; Vorwände, Sophismen werden ihn nicht zurückhalten. Klären Sie meine Vernunft auf, sprechen Sie zu meinem Herzen; ich bin bereit, Sie zu hören, aber vergessen Sie nicht, daß die Verzweiflung sich nicht zum Besten haben läßt.
    Sie sagen, man müsse mit der Vernunft prüfen; wohlan, prüfen wir! Sie sagen, man müsse desto mehr überlegen, je wichtiger die Sache sei, um welche es sich handelt; auch das will ich. Suchen wir die Wahrheit in aller Ruhe und ohne Leidenschaft, sprechen

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