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Julie oder Die neue Heloise

Titel: Julie oder Die neue Heloise Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jean-Jacques Rousseau
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Schriftenkundig, feig, heuchlerisch und prahlerisch, viel Worte machend ohne Sinn, voll Spitzfindigkeit ohne Geist, reich an Zeichen und arm an Gedanken, höflich, voll Complimente, gewandt, spitzbübisch und betrügerisch, alle Pflichten in ceremoniöse Bräuche, alle Moral in Schnörkeleien setzend, und die Menschlichkeit in Grußformeln und Verbeugungen suchend. Ich landete auf einer andern wüsten und noch unbekannteren, noch reizenderen Insel, als die erste war, und wo uns der entsetzlichste Zufall beinahe auf immer eingesperrt hätte. Ich war vielleicht der Einzige, den ein so anmuthiges Exil nicht erschreckte. Bin ich denn nicht überall im Exile? Ich fand an dieser Stätte der Wonne und des Grauens genug, was menschlichen Kunstfleiß reizen könnte, um den civilisirten Menschen aus einer Einöde, in der ihm nichts fehlt, zu reißen, und ihn abermals in einen Abgrund neuer Bedürfnisse zu stürzen. Ich sah auf dem weiten Ocean, wo es Menschen hätte so entzücken sollen einander zu begegnen, zwei große Schiffe sich finden, sich anfallen, sich wüthend schlagen, als ob dieser unermeßliche Raum für jedes von ihnen zu eng gewesen wäre. Ich sah sie Eisen und Flammen gegen einander speien. In einem Kampfe, der von ziemlich kurzer Dauer war, sah ich ein Bild der Hölle; ich hörte das Freudengeschrei der Sieger, welches das Jammern der Verwundeten und das Aechzen der Sterbenden überschallte. Ich nahm erröthend meinen Antheil an einer unermeßlichen Beute; ich nahm ihn, aber in Verwahrung, und wurde er Unglücklichen abgenommen, so soll er Unglücklichen erstattet werden.
    Ich sah Europa an das äußerste Ende Afrika's verpflanzt durch die Anstrengungen jenes habsüchtigen, ausdauernden und arbeitsamen Volkes, welches mit Hülfe der Zeit und der Ausdauer Schwierigkeiten überwunden hat, welche der gesammte Heroismus aller übrigen Völker nicht bemeistert hätte. Ich sah die weiten, unglücklichen Gegenden,welche nur dazu bestimmt scheinen, die Erde mit Sklavenhorden zu bedecken. Bei ihrem scheußlichen Anblick wendete ich die Augen voll Verachtung, Grauen und Mitleid ab; ich sah den vierten Theil meiner Mitgeschöpfe in Vieh zum Dienste Anderer verwandelt, und ich grämte mich, ein Mensch zu sein.
    Endlich sah ich in meinen Reisegefährten ein stolzes, unerschrockenes Völkchen, dessen Beispiel und Freiheit die Ehre meines Geschlechtes in meinen Augen wieder herstellte. Leute, denen Schmerz und Tod Nichts ist. und die nichts auf der Welt fürchten außer Hunger und Langeweile. Ich sah in ihrem Führer einen Capitän, einen Soldaten, einen Piloten, einen Weisen, einen großen Mann, und. was vielleicht noch mehr ist, den würdigen Freund Eduard Bomston's. Aber was ich auf der ganzen Welt nicht gesehen habe, ist ein Wesen, ähnlich Claren v. Orbe und Julien v. Étange, welches ein Herz, das diese zu lieben wußte, über ihren Verlust trösten könnte.
    Ob ich genesen bin? Was soll ich sagen? Von Ihnen muß ich erfahren, ob ich es bin. Ob ich freier, ob ich vernünftiger wiederkehre, als ich gegangen bin? Ich bin kühn genug, es zu glauben, für gewiß sagen kann ich es nicht. Dasselbe Bild herrscht fort und fort in meinem Herzen; Sie wissen, ob es möglich ist, daß es daraus verschwinde. Aber seine jetzige Herrschaft ist seiner würdiger, und wenn ich mich nicht selbst täusche, so herrscht es in diesem unglücklichen Herzen, wie es in dem Ihrigen herrscht. Ja, Cousinchen, es ist mir so, als habe ihre Tugend mich bezwungen, als sei ich ihr nur der beste und zärtlichste Freund, den es je gegeben hat, als bete ich sie nicht anders an, als Sie selbst sie anbeten; oder vielmehr, es kommt mir vor, als seien meine Gefühle nicht geschwächt, wohl aber auf den rechten Weg gelenkt, und mit welcher Sorgfalt ich mich immer prüfe, finde ich sie so rein, als den Gegenstand, welcher sie mir einflößt. Was kann ich Ihnen mehr sagen bis zu der Probe, die mir allein zu einem Urtheil über mich verhelfen kann? Ich bin aufrichtig und wahr; ich will so sein, wie es meine Pflicht ist; aber wie könnte ich für mein Herz einstehen, bei so großer Ursache ihm zu mißtrauen? Habe ich die Vergangenheit in meiner Macht? Kann ich es ungeschehen machen, daß mich tausend Gluten einst verzehrten? Wie werde ich durch die bloße Kraft der Einbildung das, was ist, von dem, was war, unterscheiden, und wie nur Die als Freundin vorstellen können, die ich nie anders denn als Geliebte sah? Was Sie meiner Eile auch für einen geheimen

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