Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen

Julie oder Die neue Heloise

Titel: Julie oder Die neue Heloise Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jean-Jacques Rousseau
Vom Netzwerk:
selber keine haßt; sie finde, fügte sie hinzu, ander höchsten Stellung nichts zu beneiden, als daß sie Denen, die sie inne haben, in so reichem Maße das Vergnügen verstattet. sich beliebt zu machen. Sie brauchen gar nichts zu beenden, sagte ihr Mann mit einem Tone, den er eher mir hätte überlassen dürfen; wir sind schon lange sammt und sonders Ihre Unterthanen. Bei diesem Worte ließ sie ihre Arbeit aus den Händen fallen, wendete den Kopf herum, und warf auf ihren würdigen Gatten einen Blick, so rührend, so zärtlich, daß es mich selber durchbebte. Sie sagte nichts; was hätte sie sagen können, das diesen Blick aufgewogen hätte? Auch unsere Augen begegneten sich. Ich fühlte an der Art, wie mir ihr Mann die Hand drückte, daß wir alle Drei von derselben Empfindung ergriffen waren, und daß der Zauber, den diese sich geheimnißvoll mittheilende Seele auf ihre Umgebung ausübte, über die Unempfindlichkeit selbst den Sieg davontrug.
    In dieser Stimmung begann das Schweigen, von dem ich Ihnen sagte; Sie können sich denken, daß es kein Schweigen der Kälte oder der Langweile war. Es wurde nur durch das Geräusch unterbrochen, welches die Kinder machten, die aber auch, als wir zu sprechen aufhörten, ihr Geplauder mäßigten, als fürchteten sie, die allgemeine Sammlung zu stören. Die kleine Aufseherin war die erste, welche anfing die Stimme zu dämpfen, den andern Zeichen zu machen, auf den Fußspitzen zu gehen; ihr Spiel ergötzte sie nur desto mehr, indem dieser kleine Zwang ihm einen neuen Reiz gab. Dieses Schauspiel, welches uns vor Augen gestellt schien, um unsre Rührung zu verlängern, that die Wirkung, die nicht ausbleiben konnte.
Ammutiscon le lingue, e parlan l'alme.

    [„Die Zungen schweigen und die Seelen sprechen."]
    Wie Vieles wurde gesagt, ohne daß sich ein Mund öffnete! Wie viele glühende Gefühle theilten sich mit, ohne die kalte Dazwischenkunft des Wortes! Allmählich gab sich Julie ganz dem einen hin, das unter allen den ersten Rang einnahm. Ihre Augen ruhten auf ihren drei Kindern und in der Seligkeit, worin ihr Herz schwelgte, malte sich auf ihrem reizenden Gesicht, was je in mütterlicher Zärtlichkeit Rührendes lag.
    Wir, Wolmar und ich, in diese doppelte Betrachtung versenkt, ließen uns ebenfalls in unseren Gedanken gehen und waren noch darin verloren, als die Kinder, welche sie verursacht hatten, ihnen plötzlichein Ende machten. Der Aelteste, der an den Bildern sein Vergnügen fand, sah, daß seinen Bruder die Zitterhölzchen davon abzogen, und nahm den Augenblick wahr, da er sie eben zusammengerafft hatte, um ihm einen Schlag auf die Hand zu geben, so daß sie ihm entfuhren und in's Zimmer hüpften. Marcellin fing an zu weinen. Frau von Wolmar rührte sich nicht, um ihn still zu machen, sondern hieß Fanchon die Zitterhölzchen an sich nehmen. Das Kind schwieg auf der Stelle, aber die Hölzchen wurden nichts desto weniger weggenommen, ohne daß Marcellin, wie ich erwartet hatte, wieder zu weinen anfing. Dieser unbedeutende Umstand rief mir viele andere in's Gedächtniß zurück, auf die ich zuvor nicht geachtet hatte, und ich erinnere mich nicht, irgendwo Kinder gesehen zu haben, mit denen man so wenig Worte gemacht hätte, und die so wenig lästig gewesen wären. Sie verlassen fast nie ihre Mutter, und doch bemerkt man kaum, daß sie da sind. Sie sind lebhaft, wild, unruhig, wie es ihr Alter mit sich bringt, aber niemals quälen sie und schreien, und man sieht, daß sie rücksichtsvoll sind, ehe sie noch wissen, was Rücksicht ist. Indem ich die Betrachtungen, zu denen mir dieser Vorfall Anlaß gab, verfolgte, fand ich besonders auffallend, daß sich Alles wie von selbst machte, und daß Julie bei so großer Zärtlichkeit für ihre Kinder sich so wenig mit ihnen abgab. In der That, man sieht sie nie beeifert, die Kinder zum Sprechen oder zum Schweigen zu bringen, oder ihnen dies und das zu befehlen oder zu verbieten. Sie läßt sich nicht in Streit mit ihnen ein, sie stört sie nicht in ihren Belustigungen, man möchte sagen, daß sie nichts weiter thue, als sie ansehen und lieben, und daß ihre ganze Mutterpflicht erfüllt sei, wenn sie den Tag über die Kleinen nur bei sich gehabt hat.
    Diese friedliche Stille schien mir zwar angenehmer zu sehen, als die unruhige Fürsorglichkeit anderer Mütter, aber ich konnte doch nicht umhin, mich über eine Lässigkeit zu wundern, die mit meiner gewohnten Vorstellung gar nicht recht übereinstimmen wollte. Ich hätte sie bei

Weitere Kostenlose Bücher