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Julie oder Die neue Heloise

Titel: Julie oder Die neue Heloise Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jean-Jacques Rousseau
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wären, und diese, wie wir, die Dinge verallgemeinern müßte, um sie leichter handhaben zu können. Es scheint, wenn man Sie reden hört, als ob es der Vorsehung zu schwer wäre, über jeden Einzelnen zu wachen: Sie fürchten, daß eine getheilte und immerwährende Aufmerksamkeit sie ermüden müßte, und finden es schöner, daß sie Alles vermittelst allgemeiner Gesetze ausrichte, ohne Zweifel, weil dabei weniger Anstrengung nothwendig ist. O, ihr großen Philosophen! Wie dankbar muß euch doch der liebe Gott sein, daß ihr ihm so bequeme Methoden schafft, und ihm seine Arbeit so erleichtert!
    Wozu kann es helfen, ihn um etwas zu bitten? sagen Sie ferner; kennt er nicht alle unsere Bedürfnisse? Ist er nicht unser Vater, um für uns zu sorgen? Wissen wir besser als er, wessen wir bedürfen? Und wollen wir wahrhafter unser Glück, als er? Lieber Saint-Preux, welche leere Sophisterei! Unser größtes Bedürfniß, das einzige, das wir befriedigen können, ist, daß wir fühlen, wessen wir bedürfen, und der erste Schritt, um aus unserem Elende zu kommen, ist, daß wir es erkennen. Seien wir demüthig, um weise zu sein; erkennen wir unsere Schwäche, und wir werden stark sein. Auf diese Weise vertragen sich Gerechtigkeit und Güte mit einander: auf diese Weise herrschen Gnade und Freiheit zugleich. Sklaven durch unsere Schwäche, sind wir frei durch das Gebet; denn es hängt von uns ab, die Kraft zu erbitten und zu erhalten, die es nicht von uns abhängt aus eignen Mitteln zu haben.
    Lernen Sie also, nicht immer von sich selbst in schwierigen Fällen Rath zu nehmen, sondern von Dem, der Macht und Klugheit in sich vereinigt, und was er uns als das Beste wählen läßt, zum Besten zu lenken weiß. Der größte Fehler der menschlichen Weisheit, selbst derjenigen, die nur die Tugend zum Ziele hat, ist ein übermäßiges Selbstvertrauen, welches uns verleitet, die Zukunft nach der Gegenwart, und nach einem Augenblick das ganze Leben zu beurtheilen. Man fühlt sich einen Augenblick fest, und rechnet darauf, nie wieder wankend zu werden. Mit einem Stolze, den die Erfahrung alle Tage zu Schanden macht, glaubt man einen Fallstrick, dem man entgangen, nicht weiter zu fürchten zu haben. Bescheiden drückt sich der Tapfere aus, wenn er sagt: ich habe mich an dem und dem Tage wacker gehalten. Aber Der, welcher spricht: ich bin wacker, weiß ja nicht, was morgen sein wird, und indem er einen Muth, den er sich nicht selbst gegeben hat, für sein Eigenthum anspricht, verdient er, ihn in dem Augenblicke zu vermissen, in welchem er ihn nöthig hat.
    Wie lächerlich müssen alle unsere Pläne, wie thöricht alle unsere Ueberlegungen vor dem Wesen sein, für welches Zeit und Raum keine Ausdehnung haben! Wir rechnen für nichts, was uns fern liegt, und sehen nur, was wir erreichen können; wenn wir den Ort gewechselt haben, werden wir entgegengesetzt urtheilen, und unser Urtheil wird nicht besser begründet sein. Wir regeln die Zukunft nach dem, was uns heute ansteht, ohne zu wissen, ob es uns morgen noch anstehen wird; wir betrachten uns so, als ob wir immer die nämlichen blieben, und ändern uns doch tagtäglich. Wer weiß, ob wir lieben werden, was wir heute lieben, ob wir wollen werden, was wir heute wollen, ob wir sein werden, was wir sind, ob die äußeren Gegenstände und die Wandlungen unseres Körpers nicht unsere Seele anders bestimmt haben werden, und ob wir nicht in dem unser Elend finden werden, was wir zu unserem Glücke unternommen haben?
    Zeigen Sie mir die sichere Richtschnur der menschlichen Klugheit, und ich will sie zum Führer nehmen. Aber wenn sie uns nichts Besseres zu lehren hat, als daß ihr nicht zu trauen sei, so lassen Sie uns zu derjenigen Zuflucht nehmen, welche nicht trügt, und das thun, was diese uns eingiebt. Ich bitte sie, meinen Rathschluß zu erleuchten; bitten auch Sie sie, Ihnen die rechten Entschlüsse einzugeben. Wie Sie sich auch entscheiden mögen, ich weiß gewiß, Sie werden nichts wollen, als was gut und recht ist; aber es ist hieran nicht genug: man muß wollen, was auch gut und recht bleiben wird; und das liegt weder in Ihrer noch in meiner Beurtheilung.
     
Siebenter Brief.
Saint-Preux an Frau von Wolmar.
    Julie! ein Brief von Ihnen! .... Nach sieben Jahren Schweigens! Ja, das ist sie; ich sehe es, ich fühle es; könnten meine Augen Züge verkennen, die mein Herz nicht verkennen kann? Sie erinnern sich meines Namens, Sie können ihn noch schreiben? .... Hat Ihre Hand, indem sie seine

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