Julie oder Die neue Heloise
leichtfertig gewesen, so that sie weiter nichts, als daß sie in ihrem Bette mit derselben Ruhe fortfuhr, Gegenstände, die für sie und ihre Freunde von Interesse waren, zu behandeln: sie sprach mit Gleichgültigkeit über Dinge, die nichts weniger als gleichgültig waren.
Den Gedanken ihres Weilens unter uns weiter verfolgend, sprach sie von Betrachtungen, die sie früherhin über den Zustand der Seele nach ihrer Trennung von dem Leibe angestellt hatte: sie wunderte sich über die Thorheit Derer, die ihren Freunden versprochen hätten, ihnen Nachrichten aus der anderen Welt zu bringen. Es ist dies gerade ebenso vernünftig, sagte sie, wie die Gespenstergeschichten, die tausend Unheil stiften und die lieben Weiber ängstigen. Als ob die Geister Stimmen zum Sprechen und Hände zum Schlagen hätten
[Plato sagt, daß beim Tode die Seelen der Gerechten, die keine Befleckung auf Erden angenommen, sich allein in ihrer ganzen Reinheit von der Materie abtrennen. Was diejenigen betrifft, die hienieden ihren Leidenschaften unterthan gewesen sind, so fügt er hinzu, daß deren Seelen nicht so schnell ihre ursprüngliche Reinheit wiedererlangen, sondern irdische Theile beibehalten, welche sie wie gefesselt in der Nähe ihrer leiblichen Ueberreste festhalten. Daher, sagt er, kommen jene Schatten, die man manchmal über den Gräbern umherirren sieht, neue Verwandlungen erwartend. Die Philosophen aller Zeitalter haben immer eine wahre Wuth gehabt, das, was ist, zu leugnen, und das zu erklären, was nicht ist.]
! Wie sollte ein reiner Geist auf eine Seele wirken, die noch in einem Körper eingeschlossen ist, und in Folge dieser Vereinigung nicht anders als durch Vermittelung ihrer Organe wahrnehmen kann? Aber ich gestehe, daß ich nichts Sinnloses darin finde, anzunehmen, daß eine von einem Körper, der ehemals die Erde bewohnte, freigewordene Seele zur Erde zurückkehren, umherschweifen, vielleicht Diejenigen, die ihr lieb gewesen, umschweben könne; nicht um uns ihre Gegenwart zu erkennen zu geben, dazu hat sie kein Mittel; nicht um auf uns zu wirken und uns ihre Gedanken mitzutheilen, sie hat keine Handhabe, um die Organe unseres Gehirns zu erschüttern; nicht endlich, um zu sehen, was wir thun, denn dazu müßte sie Sinne haben, sondern um ihrerseits zu erkennen, was wir denken und fühlen, und zwar durch eine unmittelbareMittheilung, ähnlich der, durch welche Gott schon in diesem Leben unsere Gedanken liest, und durch welche wir ebenso in dem künftigen die seinigen lesen werden, wenn wir ihn von Angesicht zu Angesicht sehen
[Dies scheint mir sehr wohl gesagt, denn was heißt Gott von Angesicht zu Angesicht sehen, wenn nicht in der höchsten Vernunft lesen?]
; denn im Grunde, setzte sie hinzu, den Geistlichen anblickend, wozu sollten Sinne dienen wenn sie nichts mehr zu thun haben? Das ewige Wesen kann man nicht sehen, noch hören, sondern nur fühlen; es spricht weder zu den Augen, noch zu den Ohren, sondern zum Herzen.
Ich ersah aus der Antwort des Pastors und einigen Zeichen des Einverständnisses, daß einer der früher zwischen ihnen besprochenen Punkte die Auferstehung der Leiber gewesen. Ich merkte auch, daß mir Juliens religiöse Vorstellungen, in denen sich der Glaube der Vernunft annäherte, etwas mehr Aufmerksamkeit abzugewinnen anfingen.
Sie gefiel sich so sehr in ihren Ideen, daß, wenn ihr auch ihre alten Meinungen nicht festgestanden hätten, es eine Grausamkeit gewesen wäre, eine derselben, die ihr in dem Zustande, worin sie sich befand, gerade so süß war, zu zerstören. Hundert Mal, sagte sie, habe ich mehr Vergnügen daran gefunden, ein gutes Werk zu thun, wenn ich mir dachte, daß meine Mutter gegenwärtig sei, in dem Herzen ihrer Tochter lese und ihr Beifall schenke. Es liegt etwas so Tröstliches darin, noch unter den Augen Dessen zu leben, der uns theuer war! Es bewirkt, daß er nur halb für uns gestorben ist. Sie können denken, ob während dieser Reden Clara's Hand oft gedrückt wurde.
Obgleich der Pastor auf Alles mit vieler Sanftmuth und Mäßigung antwortete, und geflissentlich merken ließ, daß er ihr in keiner Sache widersprechen wolle, damit man nicht etwa sein Schweigen über manche Punkte für ein Zugeständniß nehmen möchte, so konnte er doch nicht umhin, einen Augenblick Geistlicher zu sein und eine entgegengesetzte Lehre über das andere Leben vorzutragen. Er sagte, die Unendlichkeit, Herrlichkeit und die anderen Eigenschaften Gottes wären das Einzige, womit die Seelen der
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