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Julie oder Die neue Heloise

Titel: Julie oder Die neue Heloise Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jean-Jacques Rousseau
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haben, bedarf bei mir keiner Empfehlung.
    Das Abendessen war auch jetzt noch angenehmer, als ich erwartet hätte. Da Julie sah, daß sie das Licht ertragen konnte, ließ sie den Tisch heranrücken, und was bei dem Zustande, in welchem sie sich befand, unbegreiflich schien, sie hatte Appetit. Der Arzt, der nicht mehr nöthig fand, ihr etwas zu versagen, wollte ihr ein Stückchen Brust von einem Hühnchen geben. Nein, sagte sie; aber ich möchte gern von der Ferra
[Ein sehr guter Fisch, der dem Genfersee eigenthümlich ist und sich nur zu gewissen Zeiten darin findet.]
essen. Man reichte ihr ein Stückchen davon: sie aß es mit etwas Brod und sagte, daß es ihr schmecke. Während sie aß,mußte man Frau von Orbe sie anblicken sehen; man mußte es sehen, denn sagen läßt es sich nicht. Nicht nur schadete ihr das, was sie gegessen hatte, nicht, sie schien sich während der übrigen Zeit der Mahlzeit besser zu befinden; sie war selbst so bei Laune, daß sie darauf fiel, wie scheltend zu bemerken, ich hätte schon lange keine fremden Weine getrunken. Hole doch für die Herren, sagte sie, eine Flasche Spanier. An der Miene des Arztes sah sie, daß er sich auf wirklichen spanischen Wein Rechnung mache, und winkte noch lächelnd ihrer Cousine zu; ich bemerkte auch, daß Clara ihrerseits, ohne auf das Alles Acht zu geben, von Zeit zu Zeit die Augen mit einer gewissen Unruhe, bald auf Julie, bald auf Fanchon warf, wie um etwas zu sagen oder zu fragen.
    Der Wein blieb lange; der Kellerschlüssel wurde vergebens gesucht, man fand ihn nicht und muthmaßte, wie sich auch nachher befand, daß der Kammerdiener des Barons, der ihn in Verwahrung gehabt, ihn unvorsichtigerweise mitgenommen hätte. Bald stellte sich heraus, daß die für einen einzigen Tag bestimmten Vorräthe fünf Tage gereicht hatten, und daß es an Wein gefehlt hatte, ohne daß Jemand ein Wort darüber verlor, trotz der wiederholten Nachtwachen. Der Arzt fiel aus den Wolken. Mochte nun diese Gleichgültigkeit der allgemeinen Betrübniß oder der Mäßigkeit der Bedienten zuzurechnen sein, ich schämte mich, bei solchen Leuten, die gewöhnliche Vorsicht zu gebrauchen, ließ die Kellerthür aufbrechen, und befahl, daß Jeder Wein trinken solle, so viel er Lust habe.
    Die Flasche kam endlich, und man trank. Der Wein wurde vortrefflich gefunden. Die Kranke bekam Lust; sie forderte einen Löffel voll mit Wasser gemischt; der Arzt gab ihr in einem Glase, und sagte, sie solle ihn ungemischt trinken. Jetzt wurden die Blicke zwischen Clara und Fanchon häufiger, aber wie verstohlen, und als fürchteten sie immer zu viel zu sagen.
    Die Nüchternheit, die Schwäche, der Mangel an Gewohnheit Wein zu trinken machten, daß er auf Julie stark wirkte. Ach, sagte sie, ihr habt mich berauscht gemacht! So spät war es nicht der Mühe werth anzufangen, denn eine betrunkene Frau ist etwas recht Abscheuliches. In der That fing sie an zu plaudern, immer zwar sehr bedacht, wie gewöhnlich, aber mit größerer Lebhaftigkeit als zuvor. Auffallend war, daß ihre Farbe nichts Fieberhaftes hatte; ihre Augen hatten nur einen matten Glanz; die Blässe abgerechnet hätte man sie für gesund halten können. Clara war jetzt in sichtlicher Aufregung. Sie sah mit scheuen Augen bald Julie, bald mich, bald Fanchon, vorzüglich aber den Arzt an; alle diese Blicke waren ebenso viele Fragen, die sie thun wollte, und nicht zu thun wagte; es war immer, als ob sie sprechen wollte, und nur durch die Furcht vor einer schlimmen Antwort zurückgehalten würde; ihre Unruhe war so groß, daß es ihr die Luft zu versetzen schien.
    Fanchon, durch alle diese Winke dreist gemacht, wagte endlich, jedoch mit zitternder und halblauter Stimme zu sagen, es schiene, als ob Madame heute etwas weniger leidend wäre, .... der letzte Krampf wäre etwas weniger heftig gewesen .... diesen Abend .... Sie brach ab. Und Clara, die, während sie sprach, wie ein Espenlaub zitterte, sah den Arzt mit furchtsamer Miene an, hing mit dem Blick an dem seinigen, spannte das Ohr, und wagte nicht zu athmen, um nur ja nichts von dem zu verlieren, was er sagen würde.
    Man hätte dumm sein müssen, um das nicht Alles zu verstehen. Du Bosson steht auf, fühlt der Kranken den Puls und sagt: es ist weder Rausch noch Fieber da; der Puls ist sehr gut. Im Augenblick ruft Clara, beide Arme halb ausstreckend: Nun Monsieur? .... Puls? …. Fieber? .... Die Stimme versagte ihr, aber ihre Hände blieben vorgestreckt, ihre Augen funkelten vor Ungeduld, es

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