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Julie oder Die neue Heloise

Titel: Julie oder Die neue Heloise Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jean-Jacques Rousseau
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und heiligen Religion aufgewachsen zu sein, die, weit entfernt den Menschen zu verdammen, ihn adelt und erhebt, die, weder Gottlosigkeit noch Fanatismus begünstigend, es ihm verstattet, zugleich vernünftig und gläubig, menschlich und fromm zu sein.
    Hierauf die Hand ihrer Cousine drückend, die sie in der ihrigen hielt, und sie mit dem Auge anblickend, das Sie ja kennen und das die Ermattung noch rührender machte, sagte sie: Alle diese Güter sind auch tausend Anderen zu Theil geworden; aber dieses! .... das hat der Himmel mir allein geschenkt. Ich war Weib, und hatte eine Freundin; er ließ uns zu gleicher Zeit geboren werden; er legte in unsere Neigungen eine Uebereinstimmung, die sich nie verläugnet hat; er schuf unsere Herzen für einander; er vereinigte uns von der Wiege an; ich habe sie behalten mein ganzes Leben lang, und ihre Hand schließt mir die Augen. Findet mir ein zweites Beispiel dieser Art auf der Welt, und ich will auf nichts mehr stolz sein. Was für weisen Rath hat sie mir nicht gegeben! Aus was für Gefahren hat sie mich nicht errettet!
    Um was für Leid hat sie mich nicht getröstet! Was wäre ich ohne sie gewesen? Was hätte sie nicht aus mir gemacht, wenn ich ihr mehr gefolgt wäre! Ich wäre heute vielleicht so viel werth als sie! Clara antwortete nicht, sondern neigte nur den Kopf auf den Busen ihrer Freundin, und wollte ihrem inneren Schluchzen durch Thränen Luft machen: es war nicht möglich. Julie drückte sie lange schweigend gegen ihre Brust. In solchem Augenblicke hat man keine Worte und keine Thränen.
    Sie faßten sich endlich, und Julie fuhr fort: Mit diesen Gütern waren Uebelstände vermischt; das ist das Schicksal menschlicher Dinge. Mein Herz war für die Liebe geschaffen, schwierig in Bezug auf persönliches Verdienst, gleichgültig gegen alle Güter, deren Werth die Meinung bestimmt. Es war fast unmöglich, daß die Vorurtheile meines Vaters sich mit meinem Hange vertragen konnten; ich bedurfte eines Geliebten meiner eigenen Wahl. Er bot sich mir dar; ich glaubte ihn zu wählen. Ohne Zweifel wählte in der Himmel für mich so, daß ich, den Verirrungen meiner Leidenschaft hingegeben, mich nicht den Greueln des Verbrechens hingäbe, und daß die Liebe zur Tugend jene in meinem Herzen wenigstens überdauerte. Er nahm die gesittete und einschmeichelnde Sprache an, mit welcher tausend Schurken alle Tage so viele gute Mädchen verführen; aber allein unter so vielen anderen war er ein rechtschaffener Mann und dachte so, wie er sprach. War es meine Klugheit, welche die Wahl getroffen? Nein, ich kannte zuerst von ihm nur seine Sprache, und ließ mich verführen. Ich that aus Verzweiflung, was Andere aus Frechheit thun: ich warf mich, wie mein Vater es nannte, ihm an den Hals; er schonte meiner Ehre. Da erst konnte ich ihn kennenlernen. Jeder Mann, der fähig ist, so zu handeln, hat eine schöne Seele; nach solcher Probe, kann man auf ihn bauen. Aber ich baute zuvor auf ihn, nachher getraute ich mir, auf mich selbst zu bauen; und so geht man verloren.
    Sie verbreitete sich mit Wohlgefallen über das Verdienst ihres Geliebten; sie ließ ihm Gerechtigkeit widerfahren, aber man sah, wie sehr dies ihrem Herzen wohlthat. Sie lobte ihn sogar auf Kosten uhrer selbst. Um ganz gerecht gegen ihn zu sein, wurde sie unbillig gegen sich, und that sich Unrecht, um ihm Ehre zu machen. Sie ging soweit, zu behaupten, daß er mehr Abscheu als sie vor dem Ehebruch gehabt habe, ohne sich zu erinnern, daß er selbst dies widerlegt hatte.
    In gleichem Geiste ging sie ihr übriges Leben durch. Milord Eduard, ihr Mann, ihre Kinder, Ihre Rückkunft, unsere Freundschaft, Alles wurde in ein vortheilhaftes Licht gestellt. Ihr Unglück selbst hatte nur dazu gedient, ihr größeres zu ersparen. Sie hatte ihre Mutter in dem Augenblicke verloren, da dieser Verlust für sie am härtesten sein mußte; aber wenn der Himmel sie ihr erhalten hätte, würde bald Zerrüttung in ihrer Familie entstanden sein. Auf ihre Mutter gestützt, wie schwach diese auch immer war, würde sie mehr Muth gefunden haben, ihrem Vater Widerstand zu leisten und daraus würde Zwietracht und Aergerniß entsprungen sein, vielleicht Unglück und Unehre, vielleicht noch ärger, wenn ihr Bruder noch gelebt hätte. Sie hatte wider Willen einen Mann geheiratet, den sie nicht liebte; aber sie behauptete, daß sie mit einem Anderen nie hätte so glücklich sein können, selbst nicht mit Dem, den sie geliebt hatte. Der Tod des Herrn von Orbe hatte

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