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Julie oder Die neue Heloise

Titel: Julie oder Die neue Heloise Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jean-Jacques Rousseau
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Brief.
Clara an Julie.
    Muß ich denn immer, liebenswürdige Julie, nur die traurigsten Pflichten der Freundschaft gegen dich erfüllen? Muß ich immer mit bitterem Herzen das deinige durch schmerzliche Nachrichten betrüben? Ach! alle unsere Gefühle sind uns gemein, du weißt es und ich kann dir keine neuen Leiden ankündigen, die ich nicht schon gefühlt hätte. Warum kann ich dir dein Unglück nicht verbergen, ohne es dadurch noch zu vergrößern? oder warum hat die zärtliche Freundschaft nicht gleiche Zauberkraft wie die Liebe! Oh, wie schnell wollte ich da allen Kummer auslöschen, den ich dir verursache!
    Als gestern nach dem Concert deine Mutter, um nach Hause zu gehen, den Arm deines Freundes und du den des Herrn von Orbe angenommen hattest, blieben unsere beiden Väter noch mit Milord Eduard da, um Politik zu sprechen. ein Gegenstand, den ich so über
    mäßig satt habe, daß mich die lange Weile in mein Zimmer trieb. Eine halbe Stunde später hörte ich den Namen deines Freundes mehrmals mit ziemlicher Heftigkeit aussprechen: ich merkte, daß sich die Unterhaltung auf einen anderen Gegenstand gedreht hatte und legte das Ohr an. Aus dem Verfolg des Gespräches entnahm ich, daß Eduard gewagt hatte, deine Heirath mit deinem Freunde in Vorschlag zu bringen, den er laut den seinigen nannte und den er dieser Eigenschaft ngemessen zu versorgen sich erbot. Dein Vater hatte diesen Vorschlag verächtlich abgelehnt und darüber begannen die Redenden sich zu erhitzen. Sie sollen wissen, sagte Milord, trotz Ihrer Vorurtheile, daß er von allen Menschen am meisten ihrer würdig ist und vielleicht auch am meisten geeignet, sie glücklich zu machen. Alle Gaben, die nicht vom Menschen abhängen, hat er von der Natur erhalten, und hat alle Talentehinzugethan, die von ihm abhingen. Er ist jung, groß, wohlgebaut, kräftig, gewandt; er besitzt Lebensart, Verstand, gute Sitten, Muth; sein Geist ist gebildet und seine Seele gesund; was fehlt ihm denn, um Ihre Einwilligung zu erhalten? Vermögen? Es wird ihm werden. Der dritte Theil meines Guts reicht hin, um ihn zu dem reichsten Privatmann im Waadtland zu machen; ich trete, wenn es sein muß, auch sogar die Hälfte ab. Adel? Eitles Vorrecht in einem Lande, wo er mehr schadet als nützt. Aber auch den besitzt er, zweifeln Sie nicht daran, nicht mit Tinte auf alten Pergamenten geschrieben, aber in die Tafeln seines Herzens gegraben in unauslöschlichen Charakteren. Mit einem Worte, wenn Sie die Vernunft dem Vorurtheile vorziehen und wenn Sie Ihre Tochter mehr lieben, als Ihre Titel, so wird er der Mann sein, dem Sie sie geben.
    Hier fuhr dein Vater heftig auf. Er behandelte den Vorschlag als eine lächerliche Abgeschmacktheit. Wie, Milord? rief er. Kann ein Mann von Ehre wie Sie auch nur daran denken, daß der letzte Sproß einer illustren Familie seinen Namen auslöschen oder degradiren soll in dem eines Subjectes ohne Herd und in der Lage von Almosen zu leben? …. Halt! unterbrach ihn Eduard; Sie sprechen von meinem Freunde, bedenken Sie, daß ich jede Beschimpfung, die ihm in meiner Gegenwart zugefügt wird, auf mich ziehe, und daß beleidigende Worte gegen einen Mann von Ehre weit mehr auf Den zurückfallen, der sie ausspricht. Dergleichen Subjecte sind respectabler als alle Junker Europas und sagen Sie mir doch, wenn Sie können, wie ein Glück ehrenvoller gegründet werden kann, als durch das, was die Hochachtung zu Füßen legt und die Freundschaft darbringt! Wenn der Schwiegersohn, den ich Ihnen vorschlage, nicht, wie Sie, eine lange Reihe von doch immer ungewissen Ahnen zählt, so wird er dafür selbst der Gründer und die Ehre seines Hauses sein, wie Ihr erster Ahn es für das Ihrige war. Würden Sie sich denn entehrt halten durch die Verbindung mit dem Stammvater Ihrer Familie, und fiele nicht also eine solche Verachtung auf Sie selbst zurück! Wie viele große Namen würden in Vergessenheit zurücksinken, wenn man nur die zählte, welche mit einem achtungswerthen Manne begonnen haben! Machen wir einmal auf die Vergangenheit einen Schluß aus der Gegenwart! Auf zwei oder drei Bürger, die sich durch rechtschaffene Mittel Adel erwerben, können Sie alle Tage tausend Schufte finden, die ihren Familien den Adel verschaffen; und was wird dieser Adel beweisen, auf den ihre Nachkommen so stolz sein werden, außer etwa die Spitzbübereien und Schandthaten ihres Ahnherren?
[Adelsbriefe sind in diesem Jahrhunderte etwas
Seltenes und wenigstens durch einen Fall sogar

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