Julischatten
bedienen.«
Auf dem Weg durch den dunklen Flur zurück in den Wohnraum kam ihnen Rob entgegen, der Jimis Mustang (mit Sim) beim Pferderennen zum Festplatz gefahren hatte. Jimi und er begrüßten sich mit einem schnellen Ritual aus Fäusten und Fingern. Rob schien bereits etwas Schlagseite zu haben und offensichtlich wollte er etwas von Jimi.
»Geh wieder rein«, sagte Jimi zu Sim. »Rob und ich haben etwas zu besprechen.«
Sim ging zurück in das spärlich beleuchtete, von Rauchschwaden durchzogene Wohnzimmer. Die Luft war zum Schneiden und es roch nach Marihuana. Sie ließ ihren Blick durch den Raum schweifen und entdeckte Lukas, der verloren auf einer Sessellehne hockte. Von Cammie keine Spur.
Sie bahnte sich einen Weg zu ihm. Als sie ihn ansprach, bemerkte sie die Freude über ihr Erscheinen auf seinem Gesicht. Sie unterhielten sich, soweit das bei der lauten Musik möglich war. Jimi hatte mit diesem Rob anscheinend etwas Größeres zu besprechen, denn er kam nicht wieder. Die Musik machte eine Pause, und als sie wieder einsetzte, erklang Neil Youngs Uraltschnulze Heart of Gold.
Sim musste an einen Discoabend auf einer Klassenfahrt zurückdenken, als jemand Neil Young aufgelegt hatte und die Mädchen (sie waren zwölf und Sim noch im Lot) leuchtende Augen bekamen, während die Jungs im Takt riefen: »Stoppt Neil Young, stoppt Neil Young…«
Lukas legte seine Hand auf ihre Schulter und machte eine leichte Verbeugung. »Tanzen wir?«
Warum nicht? Sim führte ihn zu den beiden anderen Pärchen, die bereits tanzten. Lukas umfasste ihre Hüften und hielt sich dort fest. Sim wusste mit ihren Händen nicht, wohin, und ließ sie schließlich auf seinen Schultern liegen. Ihre Wange lag an seiner Brust und sie konnte sein Herz hören, das wie eine Trommel schlug. Ihre Körper bewegten sich im Takt der Musik.
Als Lukas’ Rechte von der Hüfte weg über ihren Hintern glitt, protestierte sie leise »Hey!«
»Was ist das für ein Stoff?«, fragte er unschuldig. »Fühlt sich an wie ein Mäusefell.«
Na toll, dachte Sim. Mäusefell. »Das ist Samt«, klärte sie ihn auf und holte seine Hände auf ihre Hüften zurück. »Wie auf dem Sofa im Trailer.«
Lukas hielt sie an sich gedrückt, er tanzte völlig versunken und seine Hände strichen immer wieder über ihren Rock, dessen weicher Stoff ihn zu faszinieren schien. Oder war es das, was darunter war? Sim spürte Lukas’ warmen Atem an ihrem Ohr. Und sie spürte noch etwas anderes: Ihre Nähe erregte ihn.
Hatte Jimi nicht gesagt, er würde Lukas von ihnen erzählen? Es verwirrte Sim, auf einmal von zwei Jungen begehrt zu werden. Sie mochte Lukas. Er war ein Freund, aber verliebt war sie in Jimi.
Lukas bewegte sich inzwischen wie in Trance, als wären er und Sim die einzigen Menschen im Raum. Er konnte nicht wissen, dass man sie anstarrte, als hätten sie Sex auf der Tanzfläche. Sim fühlte sich zunehmend unbehaglich unter den Blicken der anderen. Es waren Blicke, die alles Mögliche ausdrückten: Verachtung, Mitleid, schweigende Neugier, Belustigung. Letzteres war Sim gewohnt, aber es ärgerte sie trotzdem. Weil sie sich nicht nur über sie amüsierten, sondern auch über Lukas, den blinden Deppen, der nicht sehen konnte, was für ein merkwürdiges Mädchen er da umklammert hielt.
Die Musik wurde immer lauter in Sims Kopf. Auf einmal konnte sie Neil Youngs Stimme nicht mehr ertragen und ihr wurde schlagartig heiß in ihrer Samtjacke. Mach einfach die Augen zu und blende die anderen aus, dachte sie, als sie ein Augenpaar entdeckte, dessen Blick sie traf wie ein Pfeil. Jimi.
War es falsch, mit Lukas zu tanzen? Hatte sie ihm wieder einmal Hoffnungen gemacht? Hatte sie irgendwelche geheimnisvollen Regeln verletzt? Sie kam aus dem Takt.
»Was ist denn los?«, murmelte Lukas benommen.
»Nichts«, stammelte sie, »ich, äh… ich muss mal.«
Sim machte sich von ihm los und stürzte aus dem Raum. Fragte ein Mädchen nach der Toilette und schloss sich darin ein. Sie schälte sich aus ihrer Jacke und hängte sie an einen Haken. Sie pinkelte, ohne sich zu setzen, und spülte. Sie blickte in den Spiegel und zog ihren Lippenstift nach. Dann lehnte sie sich mit dem Rücken gegen die Tür.
Was nun? Es hatte ihr gefallen, mit Lukas zu tanzen. Seine Bewegungen waren sicher und fließend gewesen, nicht so aggressiv wie Jimis. Was wollte sie eigentlich? Oder besser: Wen wollte sie? Jimi oder Lukas? Oder war es einfach nur die Aufmerksamkeit, die sie von beiden bekam, und das
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