Julischatten
es vom Gürtel, klappte es auf, hielt es ans Ohr und lauschte. Es war Jo, sie rief aus Rapid City an. Ihr Wagen war kaputtgegangen. Sie musste sich ein Motelzimmer nehmen und warten, bis der Pick-up repariert war. »Okay«, sagte er schließlich. »Ja, mache ich. Nein, kein Problem. Ja, sage ich ihr. Bye.« Er klappte das Handy zu und steckte es wieder an seinen Gürtel. »Deine Tante«, sagte er.
»Was wollte sie denn?«
»Der Truck ist kaputt und sie kann erst morgen zurückkommen. Sie will, dass ich heute Nacht hierbleibe. Wir sollen im Blockhaus schlafen, es gibt eine Tornadowarnung.«
»Was?«
»Mach dir keine Gedanken, wahrscheinlich hat es nichts zu bedeuten. Die geben ständig Tornadowarnungen raus.«
Sie versorgten die Tiere, schlossen die Fenster im Trailer und schickten Almona eine Stunde früher nach Hause. Sim wärmte die Nudeln vom Vorabend auf, und während sie aßen, nahm der Wind zu und Pflanzenteile flogen gegen die Fensterscheiben.
Sie gingen hinaus auf die rückwärtige Veranda und Lukas ließ sich von Sim beschreiben, wie die Wolken aussahen, die aus Richtung Rapid heranzogen.
»Es blitzt in den Wolken und sie leuchten.«
»Das sind die Thunderbeings, die Donnerwesen.«
»Aber es donnert gar nicht.«
»Das kommt schon noch.«
Als es anfing zu regnen und der Sturm stärker wurde, hörten sie KILI Radio.
»Woran merkt man überhaupt, dass ein Tornado kommt?«
»Zuerst setzt der Regen aus und es ist plötzlich gespenstisch still. Dann hört es sich an, als würde eine Dampflok auf einen zurollen.«
»Hast du das schon mal erlebt?«
»Nein. So etwas lernen wir in der Schule.« Lukas lächelte.
Was für eine absurde Situation. Er war von Jo beauftragt, eine Nacht im Blockhaus zu verbringen. Allein mit Sim. Als ihr Beschützer. Lukas, der blinde Held.
»Ich weiß jetzt, mit wem ich zusammen sein will«, hatte Sim zu ihm gesagt. Wenn er es wollte, konnte er sie haben. Und wie er das wollte. Doch er würde es nicht tun. Jimi liebte Sim und Jimi war sein Hunka-Bruder.
Der Regen hörte nicht plötzlich auf und der Sturm tobte mit gleichbleibender Stärke ums Blockhaus. Sim hatte Lukas auf der Couch vor dem Fernseher ein Bett gebaut und war in ihr Zimmer gegangen. Sie hatte seine Not gespürt und wollte ihn nicht bedrängen, obwohl sie – und das nicht nur angesichts des drohenden Sturms – jetzt gerne neben ihm gelegen hätte.
Es war ihr nicht leichtgefallen, ihm zu sagen, wie es um sie stand. Und seine Zweifel an ihren Gefühlen, die konnte sie auch nachvollziehen. Aber dass er seine Gefühle zurücksteckte, nur weil Jimi ihm von seinen erzählt hatte, das verstand sie nicht. Sie wollte es nicht verstehen. Weil sie sich nach Lukas’ Nähe sehnte, nach seinem Lachen, nach seiner Umarmung. Sie vermisste seine selbstverständliche Vertrautheit. Und auch wenn sie am Ende mit gebrochenem Herzen dastehen sollte – sie wollte mit ihm zusammen sein
Das Tosen des Sturmes hinderte sie am Einschlafen, genauso wie der Gedanke, dass Lukas nur wenige Schritte von ihr entfernt auf der Couch lag. Sie lauschte dem Knistern und Knarzen der Balken, dem Trommeln des Regens auf dem Dach und dem ohrenbetäubenden Knallen, wenn der Wind unter das Blech fuhr.
Sim horchte auf, als sich mit einem Mal ein anderes Geräusch daruntermischte, eines, das nicht der Sturm verursachte. Es war ein furchtbares Stöhnen, das Sim aus ihren unruhigen Gedanken fahren ließ. Sofort saß sie aufrecht im Bett und knipste das Lämpchen auf ihrem Nachtkästchen an. Noch so ein dunkler Seufzer von nebenan.
»Jimi… Jimi!«, rief Lukas gequält.
Jimi? Was machte Jimi in dieser Sturmnacht im Haus ihrer Tante? Sim sprang aus dem Bett und tappte zur Tür. Alles dunkel im Wohnraum. Kein Jimi. Lukas wälzte sich auf der Couch. Er träumte.
Sie beugte sich über ihn und rüttelte ihn an der Schulter. »Hey, Lukas, wach auf! Wach auf!«
Benommen setzte Lukas sich auf und rieb sich mit beiden Händen über das Gesicht. Sein Hemd war schweißnass.
»Bist du wach? Du hattest einen Albtraum.«
Erst nach und nach schien Lukas zu begreifen, wo er überhaupt war. Der Traum schien ihn immer noch in seinen Fängen zu halten.
»Ja, ich bin okay«, brachte er mühsam heraus. »Ich muss nur mal auf die Toilette.«
»Findest du den Weg?«
»Ja, klar.«
Er stieß gegen den Couchtisch und eine Schale mit Erdnüssen fiel herunter. Lukas fluchte, fand aber dann den Weg zum Bad ohne Probleme.
Sim machte Licht und sammelte die Nüsse wieder
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