Julischatten
ein und kurz drauf stieg ihm der vertraute Duft von Jimis wilder Tabakmischung in die Nase. Er rappelte sich auf und setzte sich neben ihn, versuchte, die Blutung aus seiner Nase zu stillen, indem er den Kopf in den Nacken legte und einen Zipfel seines T-Shirts unter die Nasenlöcher presste.
»Das ist kein Wettkampf, Champ, hier geht es um Gefühle.« Er hustete.
»Scheiße, Mann. Denkst du etwa, ich habe keine? Ich dachte, ich könnte es wegstecken, aber ich kann’s nicht. Ich muss wissen, woran ich bin, okay?«
Es war nicht leicht, die Wahrheit zu sagen, wenn dadurch so viel zerstört wurde. »Sim und ich, wir sind jetzt zusammen.« Lukas hörte, wie Jimi den Rauch tief in die Lungen sog und wieder ausatmete. »Du weißt, dass ich Sim von Anfang an mochte. Dass ihr was miteinander hattet, konnte daran nichts ändern. Ich versuche ja, deine Gefühle zu respektieren, aber ich kann meine dabei nicht verleugnen. Sim ist zu mir gekommen, Jimi. Was hättest du an meiner Stelle getan?«
»Sie gevögelt«, antwortete Jimi sarkastisch. Dann stand er auf, um die restlichen Schrauben zu befestigen. Er verlor kein Wort mehr und auch Lukas zog es vor zu schweigen. Er wusste, dass alles gesagt war. Und er hoffte, dass ihre Freundschaft überleben würde.
Jimi beendete seine Arbeit und fuhr davon, ohne mit Jo oder Sim ein Wort gewechselt zu haben.
Sim entfuhr ein Aufschrei, als sie Lukas’ blutverschmiertes Gesicht und die Blutflecke auf seinem T-Shirt sah. Er wusch sein Gesicht im Bad und Jo packte ihm einen Eisbeutel auf die Nase.
»Ich will gar nicht wissen, was passiert ist«, sagte sie, als sie das Essen auftat.
»Aber ich«, sagte Sim.
»Alles halb so wild«, meinte Lukas. Er atmete durch den Mund.
»Das finde ich nicht. Ihr habt euch geprügelt und ich bin mir ziemlich sicher, dass du nicht damit angefangen hast. Jimi hat dich geschlagen, obwohl du blind bist.« Sim war außer sich vor Zorn.
»Es hat ihm mehr wehgetan als mir«, sagte Lukas.
Sie bekam nichts mehr aus ihm heraus. Weil es ein paar Dinge gab, die ihre Tante nicht unbedingt wissen musste, konnte sie bestimmte Fragen nicht stellen. Nachdem sie gegessen hatten, machte Lukas sich mit Ghost auf den Heimweg.
»Wann sehe ich dich wieder?«, fragte Sim, als sie zusammen vor der Koppel standen.
»Morgen muss ich Henry bei einer Namensgebungszeremonie helfen«, sagte er. »Montag komme ich, versprochen.« Er legte seine Hand an ihre Wange, strich mit dem Daumen über ihre Lippe und küsste sie. Kurz nur, denn seine Nase war geschwollen und er hatte Schwierigkeiten beim Atmen.
Sim umarmte ihn. Sie war glücklich. Alles fühlte sich richtig an – sogar, dass Jimi wütend war.
Nachdem Jo am Abend den Laden geschlossen hatte, aßen sie zusammen die Reste vom Mittagessen.
»Du kommst mir so verändert vor«, sagte Jo. »Hat das etwas mit Lukas’ blutiger Nase zu tun?« Sie zwinkerte Sim zu.
Sim zuckte mit den Achseln. »Es hat ein bisschen gedauert, bis ich begriffen habe, dass ich Lukas liebe und nicht Jimi.«
»So etwas hatte ich mir schon gedacht. Ich hoffe nur, dass die Freundschaft der beiden das übersteht.«
»Das hoffe ich auch.«
»Und du meinst es ernst mit Lukas?«
»Ja«, erwiderte sie aus vollem Herzen. »Ja.«
Jo lächelte. »Er hat also die Gelegenheit beim Schopf gepackt. Ich meine: du und er allein im Blockhaus, der Sturm…«
»Na ja«, Sim rieb verlegen auf einem Fleck in der Tischplatte herum, »sagen wir: Ich habe die Gelegenheit beim Schopf gepackt.«
»Ich hoffe, ihr habt verhütet.«
Sim spürte, wie sie rot anlief. »Das war nicht notwendig.«
»Was?«
Der entsetzte Blick ihrer Tante brachte Sim zum Lachen.
»Keine Sorge, ich habe nicht vor, schwanger zu werden.«
»Okay. Ich wüsste auch nicht, wie ich das deinen Eltern beibringen sollte. Das Leben birgt so viele Möglichkeiten, Simona. Du solltest…«
»Das ist es ja«, unterbrach Sim ihre Tante. »Zu viele. All die Möglichkeiten erdrücken mich. Ich kann nicht mehr atmen vor lauter Möglichkeiten. Meine Eltern erwarten so viel von mir, dass ich nicht weiß, wo ich anfangen soll.«
Jos schwielige Hand griff nach ihrer. »Fang damit an, du selbst zu sein und nicht jemand, den andere in dir sehen wollen. Auch deine Eltern nicht. Du musst deinen Weg gehen, nicht den, den sie sich für dich wünschen.«
»So wie du?«, fragte Sim.
Jo lachte. »Ja, so wie ich. Als ich fort bin aus Deutschland, hatte ich mir das allerdings ganz anders vorgestellt. Ich wollte eine
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