Julischatten
Tante auf die Sitzbank.
»Sie wird die zehn Dollar in der nächsten halben Stunde in Alkohol umsetzen«, bemerkte Jo.
»Ich denke, der ist im Reservat verboten«, konterte Sim schnippisch.
»Schon richtig. Aber nur zwei Meilen von hier verläuft die Staatsgrenze zu Nebraska. In White Clay, einem kleinen Örtchen mit sage und schreibe vierzehn Einwohnern, gibt es vier Schnapsläden, über deren Ladentische täglich zwölftausend Bierdosen wandern.«
Hey, das waren ja mal erfreuliche Nachrichten.
»Ich wollte nur helfen, okay?« Sie verdrehte die Augen.
»Ich weiß, Simona. Aber du solltest wissen, dass die Dinge hier manchmal nicht so sind, wie sie scheinen.«
Sie bogen zurück auf die Main Street und fuhren zu Big Bat’s, einer großen Tankstelle mit angeschlossenem Lebensmittelladen und Restaurant. Offensichtlich war Big Bat’s das wirtschaftliche und soziale Zentrum von Pine Ridge, wie Sim feststellte, nachdem sie ihrer Tante in das große Gebäude gefolgt war.
Die Halle teilte sich in zwei Hälften: den typischen Selbstbedienungsladen mit Snacks und Getränken und das Restaurant. Sim, die am Morgen nichts gegessen hatte, betrachtete skeptisch die rötlichen Hotdogs und die riesigen Sandwiches an der Theke, die von einem Lakota-Mädchen mit Plastikhandschuhen belegt wurden.
»Hungrig?«, fragte Jo.
»Jap.« Sie nickte. »Aber nicht so verzweifelt, dass ich das hier essen würde.«
Jo musste lachen. »Na komm«, sagte sie, »ich weiß, wo wir was Besseres bekommen können.«
Nach ein paar Metern auf der Main Street bog Jo nach links und lenkte den Pick-up auf einen kleinen Parkplatz hinter einem hübschen, in einem warmen Rot gestrichenen Gebäude mit aufgemalten Tierspuren und einer umzäunten, schattigen Terrasse. Higher Ground Café las Sim auf dem Schild über dem blumenumrankten Eisentor und begriff, dass die Tierspuren eigentlich große Kaffeebohnen darstellen sollten.
Im Café war es eng, aber sauber und gemütlich. Sim staunte nicht schlecht über das Angebot: Es gab Cappuccino, Latte macchiato, Frappuccino in allen Geschmacksrichtungen, verschiedene Sorten Tee, leckeren Kuchen und Sandwiches, die unvergleichlich besser aussahen als die bei Big Bat’s.
»Ich lade dich ein«, sagte Jo in versöhnlichem Tonfall.
Sim nahm das Friedensangebot ihrer Tante an. Als sie draußen auf der Terrasse im Schatten der großen Cottonwoods saßen, ihre Sandwiches verspeisten und Eistee tranken, fragte Sim ihre Tante, warum sie die einzigen Gäste waren. »Ich meine, es gibt leckere Sachen hier und jemand hat sich echt Mühe gegeben, das Café schön zu gestalten.« Sim empfand den Ort wie eine Oase. Niemand da, der sie anstarrte. Hier konnte man es aushalten.
»Das Café gehört zur Kirche«, erklärte Jo. »Higher Ground soll heißen, dass auf alle, die dieses traurige Leben geduldig ertragen, ein besserer Ort wartet. Jedes Jahr kommen unzählige Kirchengruppen ins Reservat, um den armen Indianern zu helfen und sie zum wahren Glauben zu bekehren. Aber die meisten Lakota halten sich lieber an Wakan Tanka als an Jesus.«
»Wakan Tanka«, sagte Sim. »Der Große Geist?«
»Eher das Große Geheimnis«, korrigierte ihre Tante. »Die Lakota haben viele Götter und Geister und in ihrem Verständnis sind die verschiedenen Wesen vereint in Wakan Tanka. Wenn sie beten, dann zu Wakan Tanka und zu Tunkashila, dem heiligen Großvater. Früher habe ich versucht dahinterzukommen, wie die Lakota denken, aber das habe ich längst aufgegeben. Wenn James und ich uns stritten, hat er immer behauptet, wir Weißen würden beim Denken die linke Gehirnhälfte benutzen, die verantwortlich ist für die Logik und den analytischen Verstand. Während die Lakota mit der rechten Gehirnhälfte denken, dem Sitz der Intuition und des gefühlsmäßigen Verstandes. Deshalb wäre es schlichtweg unmöglich, dass wir einander verstehen.«
Nicht lange darauf machten sie sich auf den Heimweg. Jo erzählte Sim von einem holländischen Ehepaar, das in ein paar Tagen mit seiner Tochter ins Reservat kommen würde und sich bei ihr für eine Woche eingemietet hatte.
»Wo werden sie wohnen? In der Blockhütte?« Sim wusste, dass in dem kleinen Blockhaus zwei Etagenbetten standen. Es war nicht das Ritz, aber wer Goldgräberromantik mochte, würde sich darin sicher wohlfühlen.
»Im Trailer. Jimi ist dabei, alles herzurichten. Es wäre schön, wenn du ihm ein bisschen zur Hand gehen könntest. Ich glaube, das liegt dir mehr als Gärtnern.«
»Ich
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