Julischatten
den Lakota-Männern.
Aber Jimi hatte sie nicht angefasst, nur die Tür richtig verschlossen. Und schließlich konnte er nicht wissen, was sie für Erinnerungen mit sich herumtrug.
Auf der Asphaltstraße gab Jimi Gas, der Motor heulte auf und der Wind blies ihr durch das offene Fenster ins Gesicht. Sie fuhren schweigend und auf halber Strecke zwischen Horse Hill und Manderson bog Jimi auf das Land der Yellowhawks. Eine staubige Piste, gesäumt von wilden Heckenrosen, führte durch ein Gebiet mit großen Cottonwoods und Sim sah linker Hand einen grasbewachsenen Platz, auf dem drei Tipis standen. Das weiße Segeltuch leuchtete in der Mittagssonne.
Nach einer weiteren Meile erreichten sie das Gelände, auf dem die Pferderennen stattfinden würden. Es war eine überschaubare Grasebene, gesäumt von Laubbäumen, die Schatten spendeten. Dahinter erstreckte sich das baumlose Hügelland. Eine Oase inmitten der ausgedorrten Prärie.
Links und rechts des Weges parkten staubige Autos und Pferdeanhänger, dazwischen standen Pferde. Schwarze, braune, gescheckte, helle mit grauen Flecken. Sim dachte daran, was Michael gesagt hatte – dass die Lakota mit ihren schnellsten Pferden hier sein würden. Kinder ritten auf ihren Ponys den Weg entlang oder jagten im Galopp über die Wiese.
Jimi fuhr Schritt und fand schließlich eine Lücke zwischen den parkenden Autos. Jetzt war Sim dankbar dafür, dass der Wagen nicht klimatisiert war, denn die Hitze, die ihr unbarmherzig entgegenschlug, als sie aus dem Mustang stiegen, hätte sie sonst umgebracht. Zwischen den Hügeln stand die Luft und sie war angereichert mit Staub, Pferdeschweiß und dem Geruch von Pferdeäpfeln.
»Dort drüben.« Jimi wies in Richtung einer großen Erle mit einer breiten Krone. Ghost und Arrow grasten in der Nähe und im Schatten des Baumes entdeckte sie Lukas, der mit zwei Mädchen in ein Gespräch vertieft war. Auch das noch, dachte Sim, während sie Jimi zwischen Autos und schwatzende Grüppchen hindurch folgte.
Obwohl niemand sie offen anstarrte, spürte Sim, wie sie taxiert wurde. Zugegeben, zwischen all den Jeans und XXL-T-Shirts war ihr optischer Unterhaltungswert enorm. Falsche Frisur, falsche Klamotten, falsche Hautfarbe. Fehlte nur das »Bitte-nicht-füttern«-Schild.
Die Indianer, an denen sie vorbeiging, sahen allesamt angestrengt weg, aber sobald sie ihnen den Rücken zukehrte, kicherten und tuschelten sie. Auch die Mienen der beiden Mädchen, mit denen sich Lukas unterhielt, deuteten nicht unbedingt auf einen Willkommensgruß, als sie sich mit Jimi zu ihnen gesellte.
»Marola und Cammie«, sagte Jimi, »das ist Sim, Jos Nichte aus Deutschland.«
»Hi«, sagte Cammie. Marola, deren Augen in einem unnatürlichen Blau strahlten, hatte nur ein knappes Nicken für Sim übrig.
Beide blickten sofort wieder weg, irgendwohin, wo niemand stand. Cammie hatte etliche Kilo zu viel auf den Rippen, die sie unter einem weiten malvenfarbenen T-Shirt versteckte. Eigentlich hatte sie ein hübsches Gesicht, aber ihre Wangen waren rund wie Äpfel, die gegen ihre Unterlieder drückten und die dunklen Augen zu schmalen Schlitzen werden ließen. Ein Gummi hielt ihr die langen Haare straff aus dem Gesicht, was auch nicht gerade vorteilhaft war.
Marola hingegen hätte Modell für eine dieser Indianerprinzessinnen auf den Kitschpostkarten stehen können, von denen ihre Tante ein ganzes Sortiment im Laden hatte. Makellose milchkaffeebraune Haut, Haare bis zum Hintern, wunderschöne kontaktlinsenblaue Mandelaugen und eine klassische Nase. Sie trug ein eng anliegendes weißes Top, das ihre schlanke Figur betonte und im Kontrast zu ihrer dunklen Haut leuchtete wie aus der Waschmittelwerbung. Ihre langen Beine steckten in Jeans und staubigen Reitstiefeln mit Sporen. Wow.
Lukas begrüßte Sim mit einer Umarmung, die etwas linkisch ausfiel. Ein verwaschenes blaues Tuch mit kleinen weißen Büffeln hielt ihm das offene Haar aus der Stirn und in Kombination mit seiner Men-in-Black-Sonnenbrille sah er damit ziemlich verwegen aus.
Sim kam sich von Minute zu Minute lächerlicher vor in ihrem Outfit und sie fragte sich, wie sie es hier bis halb elf aushalten sollte. Welcher Teufel hatte sie geritten, sich für beinahe zehn Stunden in die Obhut von zwei Jungen zu begeben, die sie überhaupt nicht kannte?
Sie spürte den Druck, der sich in ihr aufbaute und gegen den es nur ein einziges Heilmittel gab: Alkohol. Jetzt könnte sie ein eiskaltes Bier vertragen, das würde nicht nur
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