Julius Eichendorff 02 - Nomen est Omen - Eifel Krimi
der Deal.
Hessland sah ihn erwartungsvoll an.
Sollte Julius die Gelegenheit nutzen und ihn jetzt nach den Gerüchten um seine Vergangenheit fragen? Er hatte ihn doch in der Hand?
Hessland schniefte, zog ein besticktes Stofftaschentuch aus dem Jackett, tupfte sich die Nase ordentlich ab und faltete es wieder zusammen. Er schniefte wieder. Und die Prozedur begann von neuem.
Nein. Es war zu früh, ihn anzubohren. Julius musste erst sein Vertrauen gewinnen. Also sagte er schlicht: »Gerne.«
Hessland schüttelte ihm die Hand wie nach einem Staatsbesuch und rannte gegen die Tür.
»Sie müssen sie hier unten … warten Sie, ich mache Ihnen auf.«
»Danke, danke. Wie ungeschickt von mir.«
»Ach was«, sagte Julius, »wer ahnt schon, dass die Tür nicht von allein aufgeht …«
Der Raum war dunkel und ruhig. Das große Frühstückszimmer des Bad Neuenahrer Dahlienhotels war abends leer. Von draußen drang kein Licht mehr durch die doppelverglasten Fenster. Julius schritt über den leicht zu säubernden Fußboden auf die einzige Person im Raum zu. Sie saß an einem Tisch, das Gesicht flackernd erleuchtet, wie von einer kleinen Sonnenbank mit Wackelkontakt. Von Reuschenberg blickte kurz auf, als Julius sich zu ihr setzte, und starrte dann wieder Richtung Notebook. Das Lichtspiel auf ihrem Gesicht wiederholte sich. Sie kramte ohne hinzusehen einen Aktenordner aus ihrer Tasche. Es war ein Bogen für Fingerabdrücke, mit zehn freien Feldern. Von Reuschenberg schob ihn Julius zu.
»Das ist zwar sehr unprofessionell, aber wir machen es jetzt ausnahmsweise hier.« Sie stellte ein Stempelkissen daneben und klappte es auf. »Jeder Finger einzeln, klar und deutlich abrollen.«
Kein Lächeln umspielte ihre Lippen, die heute blassrosa wie zwei kleine Garnelen waren. Sie sah anders aus, dachte Julius. Es war nicht nur, dass ihre Züge im spärlichen Licht verändert wirkten, weicher. Sie war auch anders gekleidet. Kein Sakko mehr, keine Bluse. Dies hier war die private Frau von Reuschenberg – zumindest optisch. Sie trug einen bordeauxfarbenen Rollkragenpullover. Eng anliegend, wie Julius nicht übersehen konnte.
Er stand ihr gut, fand er.
»Werde ich wieder verdächtigt?«
Jetzt schaute von Reuschenberg doch auf und lächelte sogar wieder. So sehr, dass ihre spitzen Eckzähne zu sehen waren. »Nein. Tut mir Leid! Ich hab nicht drüber nachgedacht, dass Sie das glauben müssen. Wir vergleichen lediglich die Fingerabdrücke aller Mitglieder der Besuchergruppe mit denen, die wir am Tatort gefunden haben. Bisher haben wir nur solche gefunden, die von der Gruppe stammen. Davon aber eine ganze Menge. Dass die Leute auch immer alles antatschen müssen.«
Julius sagte nichts. Er wusste, dass er immer alles antatschen musste. Ihm war es wichtig, wie sich etwas anfühlte, er wollte es im wahrsten Sinne des Wortes begreifen. Vermutlich war die Welt voll mit Julius-Eichendorff-Abdrücken. Penibel erledigte er die ihm aufgetragene Arbeit und ging danach zur Toilette, um sich die Tinte abzuwaschen. Er hinterließ Spuren auf Türgriff, Mischbatterie und Becken. Als er wiederkam, sah er, wie von Reuschenberg enttäuscht den Kopf schüttelte. Sie strich eine Haarsträhne zurück, die ihr ins Gesicht geglitten war.
»Und damit haben wir jetzt auch die letzten nicht identifizierten Fingerabdrücke zugeordnet. Es sind Ihre.« Sie drehte das Notebook, so dass Julius einige vergrößerte Fingerabdrücke in einer Eingabemaske erkennen konnte. Sie wirkten uneben und chaotisch, mit vielen Schnitten und Kratern.
»So sehen meine Fingerkuppen aus?«
»So sehen Fingerkuppen aus, wenn jemand viel mit den Händen arbeitet, sich schneidet, sie oft aufweicht, regelmäßig raue und heiße Gegenstände anfasst.«
»Erschreckend …«
»Nichts, worüber Sie sich Sorgen machen sollten. Fällt eh keinem auf.« Von Reuschenberg wirkte frustriert. Ihre Schultern hingen schlaff herab. Julius bemerkte, dass kein Glas bei ihr stand.
»Soll ich Ihnen etwas zu trinken besorgen?«
»Geht nicht, die haben um die Uhrzeit keinen Service mehr.«
»Kein Problem.« Julius verschwand und kehrte mit einer Flasche Rotwein zurück, die er zur Sicherheit immer in seinem Kofferraum mitführte. »Erwarten Sie nicht, dass der Wein in Topzustand ist. Es tut keinem Tropfen gut, wenn er die ganze Zeit herumgeschaukelt wird. Aber die Flasche schlummerte im Innenfutter meines Autokissens – sie hatte es bequem.«
Julius öffnete den Cabernet Sauvignon vom Weingut Pikberg
Weitere Kostenlose Bücher