Jung, blond, tot: Roman
Wirklichkeit war. Sie hat es mehr als Spaß angesehen, während er es sehr ernst nahm.« »Was hat er gemacht, als Schluß war?« »Nichts, er hat ein paar Tage lang ständig hier und bei Sabine angerufen und gewinselt - manche Jungs sind eben echte Memmen -, aber Sabine hat nur drüber gelacht. Wie gesagt, die Sache ist ein halbes Jahr her und...« »Kennen Sie den Jungen?«
»Ja, er geht auf unsere Schule, macht dieses Jahr sein Abi.« »Würden Sie ihm zutrauen...«
Frau Bernhardt drehte sich abrupt um, angriffslustiger Blick, wie eine Löwin, die ihr Junges verteidigt, und sagte: »Nein, vergessen Sie's, ich kenne den Jungen, seit er in den Windeln gelegen hat, und ich kenne seine Eltern. Er ist ein überaus sensibler und lieber Kerl. Versuchen Sie's gar nicht erst bei ihm.« »Wir hätten trotzdem gern seine Adresse.« »Warum? Wollen Sie unbedingt unnötigen Staub aufwirbeln?« »Hören Sie zu«, sagte Durant schärfer als beabsichtigt, »ein Mädchen ist verschwunden, und wir werden jeder noch so vagen Spur nachgehen; das ist alles andere als nur das Aufwirbeln unnötigen Staubs, wie Sie es nennen! Zur Zeit ist das Verschwinden eines siebzehnjährigen Mädchens mit blonden Haaren leider überaus ernst zu nehmen!«
»Ich gebe Ihnen eine Karte, auf der Name und Adresse vermerkt sind«, sagte Frau Bernhardt leicht pikiert, zog die oberste Schublade des Sekretärs heraus, entnahm eine Visitenkarte und reichte sie Durant.
»Sonst gab oder gibt es keinen Jungen, mit dem Sabine irgendwann einmal zusammen war oder ist?«
Nicole schüttelte erneut den Kopf. »Zumindest hat sie es mir nicht gesagt. Aber wir sprechen eigentlich über alles. Ich wüßte es, wenn sie einen Freund hätte.« »Seit wann sind Sie befreundet?« »Seit etwa drei Jahren. Wir sehen uns fast jeden Tag.« »Wie kommt Sabine von hier nach Hause? Es ist ein ganzes Stück Weg bis zu ihrer Wohnung.« »Gestern ist sie mit dem Fahrrad gekommen, aber weil es zu regnen anfing, hat sie das Rad hier stehen gelassen. Manchmal fährt meine Mutter sie, manchmal bringe ich sie zum Bus, gestern ging aber weder das eine noch das andere, weil meine Mutter nicht da war und ich einen dringenden Anruf bekam und Sabine pünktlich zu Hause sein wollte. Ich mußte sie allein gehen lassen.« »Wie weit ist es bis zur Haltestelle?« »Drei, vier Minuten zu Fuß. Mit dem 61er sind es noch mal zehn Minuten bis zu ihr nach Hause.« Sie nahm einen langen Zug an der Zigarette und fuhr fort: »Ich habe mich gestern abend schon gewundert, daß sie mich nicht angerufen hat, denn sonst ruft sie immer noch mal hier an, nachdem sie zu Hause angekommen ist. Gut, ich habe fast eine Dreiviertelstunde telefoniert, aber ich habe sofort danach bei ihr angerufen, und es hat sich niemand gemeldet. Ich dachte mir, daß sie vielleicht gerade badet oder schon im Bett liegt, habe es aber ein paar Minuten später trotzdem noch einmal probiert.«
»Ist es schon einmal vorgekommen, daß sie nicht gleich nach Hause gefahren ist? Daß sie einen Umweg genommen hat oder aufgehalten wurde?« »Ein-, zweimal. Aber das hing damals mit Andreas zusammen, und ich wußte jedesmal davon. Wenn sie etwas anderes vorgehabt hätte, hätte sie es mir gesagt, da bin ich ganz sicher.« »Auch, wenn es sich um einen Freund gehandelt hätte?« »Gerade dann.«
»Gut, das war's fürs erste«, sagte Julia Durant, verstaute den Block in ihrer Tasche, stand auf. »Hoffen wir, daß Sabine wieder auftaucht. Sollten wir noch Fragen haben, werden wir uns vielleicht noch einmal an Sie wenden müssen. Auf Wiedersehen.« Frau Bernhardt nickte mit abwesendem Blick. Rauchte, pulte am rechten Daumen, wirkte etwas nervös. Durant registrierte es, zeigte es aber nicht. Draußen reichte sie Schulz die Visitenkarte.
»Fahren wir also zum Nansenring zu Menzel. Das ist die Parallelstraße«, sagte er. An der Tür standen nicht einmal die Initialen von Alexander Menzel, einem der einflußreichsten Männer von Frankfurt, Bauunternehmer, Aufsichtsratsvorsitzender, Vorstandsvorsitzender, seine Krakenarme reichten überallhin, kaum ein Unternehmensbereich, in dem er nicht tätig war. Und seit einiger Zeit engagierte er sich auch noch politisch auf kommunaler Ebene, mit wachsendem Erfolg, wie es hieß. Die Kommissarin drückte den Klingelknopf. Es dauerte eine Weile, bis eine ältere Frau in grauem Kostüm an das Tor kam. Durant hielt ihr den Ausweis hin, bat darum, Andreas Menzel sprechen zu können.
»Er schläft noch«, sagte die Frau
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