Jung, blond, tot: Roman
zur Verfügung. Sie setzte sich ins Auto, wollte nicht zurück in das leere Haus, die Schwiegermutter war mit den Kindern ins Kino gegangen. Sie fuhr ziellos durch die Gegend, Neu-Isenburg, Offenbach, hielt an einer Boutique, kaufte eine Bluse und einen Rock, hörte laute Musik, holte sich an einem Kiosk die Frankfurter Rundschau vom Abend, das Bild von Janina auf der Titelseite, ein ausführlicher Bericht. Sie las im Wagen, stieg wieder aus, kaufte sich einen Flachmann Cognac, trank in einem Zug aus. Fuhr zurück zu Patanec, es war wenige Minuten nach vier. »Janina ist tot! Sie ist genauso bestialisch umgebracht worden wie die andern Mädchen!«
»Nehmen Sie Platz«, sagte Patanec und zog sich einen Stuhl heran, so daß er ihr direkt gegenübersaß. Er beugte sich nach vorn, die Arme auf die Schenkel gestützt, die Hände gefaltet. »Wer ist diese Janina?« »Ach so, entschuldigen Sie, Sie kennen sie ja nicht.« Sie holte ein Taschentuch aus ihrer Blazertasche, wischte sich leicht über die Nase. »Es ist die Tochter der Familie, bei der Daniel und ich am Sonntag nachmittag eingeladen waren.«
»Ich verstehe«, sagte Patanec, zog die Stirn in Falten und lehnte sich zurück, die Arme über der Brust verschränkt. »War das nicht an dem Tag, als Daniel sich in die Hand schnitt?«
»Genau, und wenn ich ehrlich bin, ich hab's ihm gegönnt. Er kann es nämlich auf den Tod nicht ausstehen, wenn er Fehler macht. Und in seinen Augen hat er sich gehörig vor der Familie blamiert. Geschieht ihm recht.« »Was bedeutet dieser Tod für Sie persönlich?« »Für mich? Wenn ich das wüßte?! Zorn, Trauer, Haß. Ich habe das Gefühl, in mich zusammengefallen zu sein, wie ein Erdbeersouffle, das etwas zu scharf angesehen wird. Und wenn ich nicht aufpasse, werde ich noch zur Alkoholikerin... Aber das will ich nicht, weiß Gott, das will ich nicht! Aber dann passieren immer wieder so schreckliche Dinge... Ich habe Janina gemocht, mein Gott, sie war achtzehn, wir haben uns zwar nur selten gesehen, aber sie war so ein liebes Mädchen. Sie hat phantastisch Klavier gespielt, sie war über die Maßen begabt. Eigentlich stand ihr die ganze Welt offen.« Sie schüttelte den Kopf, schloß die Augen. Ballte die Fäuste, stieß in ohnmächtiger Wut hervor: »Und dann kommt so ein elender Schweinehund daher und läßt seinen Haß an ihr aus... Ich traue mich nicht, Maria, Janinas Mutter, anzurufen, ich habe Angst, mit ihr zu sprechen... Und Daniel ist wieder einmal nicht da.« »Wo ist er?« »In der Klinik, wo sonst?! Wenn ich nur den Mut aufbrächte...« Sie stockte, den Blick gesenkt. »Den Mut zu was?« »Sie werden mit Fingern auf mich zeigen, ich, die schöne Susanne Tomlin verlasse diesen Traum von einem Mann, diesen Gott, diesen Wohltäter der Menschheit!« »Könnten Sie sich vorstellen, den Täter zu kennen?« »Wie meinen Sie das?« »Nun, eine rein hypothetische Frage, aber haben Sie schon einmal darüber nachgedacht, daß es jemand sein könnte, den Sie kennen?«
»Wollen Sie mir angst machen?« fragte sie mit weitaufgerissenen Augen. »Laura ist blond, und sie ist fünfzehn!« »Tut mir leid, Susanne«, sagte Patanec und streichelte ihr väterlich über die Hand, sie ließ es widerstandslos geschehen. »Ich wollte Ihnen keine Angst einjagen.« »Wenn meine Schwiegermutter nicht hier wäre, ich würde die Kinder nehmen und für eine Weile fortgehen. Wir haben dieses Haus in Frankreich.« »Dann tun Sie's. Manchmal ist es wichtig, an sich zu denken und sich einen Teufel um die Meinung der anderen zu scheren...«
»Aber meine Schwiegermutter...«
»Na und? Haben Sie nicht selbst gesagt, sie würden sich nicht gut verstehen? Denken Sie an sich, nur an sich. Sie werden sehen, wenn Sie aus Frankfurt weg sind, wenn Sie Abstand gewonnen haben, werden Sie auch Ihre Probleme in den Griff bekommen. Und auf mich können Sie jederzeit zählen.«
Sie lächelte wieder, verlegen wie ein kleines Mädchen, reichte Patanec die Hand, ging an ihm vorbei, als sie neben ihm stand, hauchte sie ihm einen Kuß auf die Wange. Patanec begleitete sie zur Tür, sah ihr nach, wie sie in ihren Wagen stieg und ihn vorsichtig rückwärts aus der Einfahrt manövrierte.
Er schloß die Tür hinter sich, stellte sich wie immer, wenn er angestrengt nachdachte, ans Fenster. Er hatte ein seltsames Gefühl im Bauch, Druck im Kopf, spürte das Pochen des Blutes in seinen Schläfen, die jetzt den vierten Tag währende Migräne wurde wieder schlimmer. Das Telefon klingelte,
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