Jung, blond, tot: Roman
er ignorierte es, der Anrufer hinterließ eine Nachricht auf dem Anrufbeantworter. Die Vorstellung, sein Freund, sein Tennispartner, der Mann, mit dem er so viele Nachmittage und Abende zusammengesessen und über das Glück und Elend dieser Welt philosophiert hatte, der ihm seine Frau anvertraut hatte, der solch immenses Ansehen genoß und sich alles leisten konnte, dem die Welt zu Füßen lag und der der Welt von seinem Reichtum abgab, dieser Mann könnte jener Mensch sein, der diese unglaublich grausamen Verbrechen begangen hatte. Aber es machte Sinn, sein zunehmend seltsames Verhalten Susanne gegenüber, die Eile, die er gestern abend an den Tag gelegt hatte. Wo war er gestern abend gewesen? Und Tomlin war der einzige, dem Patanec erzählt hatte, daß die Schuberts ohne Annette in die Oper gehen würden! Er hatte Herzklopfen, ging an den Schrank, holte die Flasche Martini heraus, schenkte ein Glas halbvoll, gab Eis dazu, schüttete es mit einem Zug herunter. Aber er wußte nicht genau, wie er sich verhalten und vorgehen sollte. Aber er war neugierig. Er würde mit Tomlin reden, wollte herausfinden, wenn seine Vermutung stimmte, warum Tomlin diese Verbrechen begangen hatte. Er trank einen weiteren Martini, nahm den Telefonhörer in die Hand und wählte die Nummer von Tomlins Klinik.
Dienstag, 18.00 Uhr
Susanne Tomlin lag auf der Couch, die Kinder machten ihre Hausaufgaben erst jetzt, weil sie gleich nach der Schule mit ihrer Großmutter ins Kino gegangen waren. Susannes Schwiegermutter saß am Kaffeetisch, legte eine Patience, der Duft ihres aufdringlichen Rosenparfüms hatte sich längst im ganzen Raum verteilt. Sie sah kurz auf, strenger Blick, sie fragte: »Hast du irgendwas? Du wirkst so unruhig.« Susanne erhob sich, ging zum Fenster, schüttelte den Kopf und meinte wie beiläufig: »Es ist nichts weiter, nur die Tochter einer guten Freundin wurde gestern nacht ermordet. Mehr nicht.«
»Ermordet?« fragte Tomlins Mutter entsetzt, legte die Karten mit der Vorderseite nach unten auf den Tisch. »Und das sagst du so ruhig, als wäre es eine Bagatelle?!« »Das ist jetzt innerhalb der letzten drei Wochen das fünfte oder sechste Mädchen«, sagte Susanne leise. »Langsam bekomme ich Angst um Laura. Mir wird unheimlich.« »Warum das? Sie ist doch gut aufgehoben hier.« »Alle Mädchen waren blond, keines älter als achtzehn, ein Mädchen wurde sogar zu Hause getötet. Verstehst du jetzt meine Angst? Ich werde Laura nicht mehr aus den Augen lassen.«
»Mein Gott, das ist ja schrecklich! Was für ein widerliches Schwein macht denn so was?«
»Immer nur Mädchen!« sagte Susanne Tomlin geistesabwesend. »Sie hätten noch ein ganzes Leben vor sich gehabt! Und dann kommt so einer daher und löscht sie einfach aus!« Sie fuhr flüsternd fort: »Wer hat das Recht, so etwas zu tun? Und wo bleibt die Gerechtigkeit?« »In Amerika haben wir für so was die Todesstrafe...« Susanne Tomlin drehte sich abrupt um, funkelte ihre Schwiegermutter zornig an. »Wir sind aber nicht in Amerika! Du bist vor über vierzig Jahren ausgewandert«, sagte sie laut, machte eine Pause, fuhr fort mit gedämpfter Stimme: »Ich kannte persönlich drei von den Mädchen. Und die Namen von zwei anderen kannte ich vom Hörensagen. Ich glaube, der Mörder muß einer aus dieser Gegend sein. Ich habe keine andere Erklärung dafür.« »Hast du jemals mit der Polizei darüber gesprochen?« »Nein, bis jetzt nicht. Die nehmen mich doch nicht für voll!«
»Du solltest es zumindest versuchen. Sprich mit ihnen. Vielleicht kannst du ihnen Dinge sagen, die dir selbst unbedeutend erscheinen, aber am Ende zum Mörder führen.«
»Dr. Patanec kennt auch einige der Mädchen«, sagte Susanne nachdenklich. »Wer ist das?«
»Tja, wer ist Dr. Patanec? Er ist Psychologe, Hypnosetherapeut, Kartenleger, Astrologe, Menschenkenner, kurzum, ein wahres Allroundtalent.« »Bitte was? Wie geht denn das zusammen?« »Es geht, und zwar hervorragend...« »Was soll's, du mußt selber wissen, mit wem du dich abgibst. Ich würde mich vor solchen Scharlatanen in acht nehmen.« »Zum Glück kann ich für mich selbst entscheiden«, sagte Susanne herablassend und beobachtete ihre Schwiegermutter beim Patiencelegen. Plötzlich sagte sie: »Was ist zwischen dir und Daniel?«
Tomlins Mutter zuckte kaum merklich zusammen, sah Susanne kalt und doch erschrocken an. »Was meinst du mit: was zwischen uns ist?« »Nun, ich denke, ihr habt kein normales Verhältnis zueinander.«
»Was soll
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