Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Jung, blond, tot: Roman

Jung, blond, tot: Roman

Titel: Jung, blond, tot: Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andreas Franz
Vom Netzwerk:
daran glauben mögen. Mit festen Schritten folgte Joanna Schulz den beiden Särgen, sie brauchte niemanden, der sie stützte. Julia Durant bewunderte diese Frau, die ihr Schicksal mit großer Würde trug, und irgendwie fiel es ihr schwer, die seltsamen Geschichten zu glauben, die über sie durchs Präsidium geisterten. Aber vielleicht stimmten die Geschichten ja, vielleicht hatte Schulz all das, was auf ihn eingestürzt war, nicht ertragen, doch keiner würde dies wohl je erfahren; er hatte nicht einmal einen Abschiedsbrief hinterlassen. Bevor Schulz sich nachts im Heizungskeller an einem an der Decke entlanglaufenden Heizungsrohr aufgeknüpft hatte, hatte er, während er das Seil am Rohr befestigte und den Knoten knüpfte, eine halbe Flasche Bier getrunken. Er hatte seinen Tod akribisch geplant und ausgeführt. Julia Durant sah Berger zum ersten Mal weinen. Er stand am Grab, die Hände in den Taschen, eine dunkle Brille verdeckte seine Augen. Für den restlichen Tag hatte Berger sich frei genommen.

EPILOG 1
    Einen Monat lang wurde Mark Daniel Tomlin, wie er mit vollem Namen hieß, verschiedenen langwierigen Tests unterzogen. Dr. Schneider und zwei weitere unabhängige Psychologen wechselten sich in ihren Untersuchungen ab. Am Ende der vierten Woche lagen erste Ergebnisse vor. Am Morgen des 28. Oktober kamen Schneider und seine Kollegen mit Berger, Durant und Kullmer zusammen, um diese Ergebnisse vorzulegen. Die Akte umfaßte 524 Seiten, dazu 33 Videobänder. »Meine Dame, meine Herren«, sagte Schneider mit bedeutungsvollem Gesichtsausdruck, »meine Kollegen Dr. Hoffmann, Dr. Wirsing und meine Wenigkeit haben uns während der vergangenen vier Wochen intensiv mit Dr. Mark Daniel Tomlin beschäftigt. Es war eine harte, eine für alle Beteiligten sehr harte, zum Teil aufreibende, aber nichtsdestoweniger erfolgreiche Zeit, wobei ich den Begriff erfolgreich nicht mißzuverstehen bitte. Wir glauben, nein, wir sind der festen Überzeugung, hier ein Material in Händen zu halten, das eine recht einmalige Persönlichkeit reflektiert und das vor Gericht sicher starke Verwendung finden wird. Doch ich möchte nicht viele Worte machen, sondern gleich in medias res gehen. Sie erinnern sich, wie ich einst sagte, daß mir vereinzelte Fälle multipler Persönlichkeiten bekannt sind. Bei Mark Daniel Tomlin, und da sind meine Kollegen und ich uns einig, liegt mit allergrößter Wahrscheinlichkeit ein solcher Fall vor. Tatsache ist, er hat die Morde weder aus niederen noch aus sadistischen Beweggründen begangen. Der eine Mensch Tomlin war ein Geber mit einer starken sozialen Ader, er hat mehr als zehn Jahre lang den Ärmsten der Armen gedient, er hat unentgeltlich oder gegen ein geringes Honorar wichtige kosmetische und plastische Operationen in seiner Klinik durchgeführt, wenn die Patienten das Geld dafür nicht oder nur teilweise aufbringen konnten. Er war, und ist dies wohl immer noch, ein wohltätiger Mann, ohne mit dieser Wohltätigkeit jemals hausieren gegangen zu sein. Dieser Tomlin hätte die Taten nie begangen, die Taten wurden von seinem zweiten Ich begangen, das in den letzten Jahren immer dominierender wurde. Tomlin selbst oder das gute Ich war sich in den Momenten seines mörderischen Tuns seiner Taten nicht bewußt. Dies mag wie ein Widerspruch klingen, wenn man bedenkt, daß er sich an jede Einzelheit erinnern kann, doch wir müssen einen Unterschied zwischen dem Erinnerungsvermögen per se und dem Augenblick ziehen. Die Prozesse, die sich in seinem Innern abspielen und abspielten, können wir nicht nachvollziehen. Der andere Mensch Tomlin war zerfressen, wie ein Krebsgeschwür hatte etwas in seinem Innern versucht, das Gute zu zerstören. Zuletzt wurde Tomlin fast nur noch von diesem, nennen wir es einfach Krebsgeschwür beherrscht. Wenn er sich seiner sozialen Ader auch noch bewußt war, wenn er auch weiterhin ein höflicher, charmanter Mann war, freundlich, hilfsbereit, so nur, weil das Krebsgeschwür unentdeckt bleiben und deshalb unbedingt die Fassade aufrechterhalten mußte, um eben nicht entdeckt zu werden. Nun werden Sie fragen, warum hat er das getan? Warum hat er gemordet, warum so bestialisch? Was war der Grund? Nun, was immer er getan hat, die Wurzeln dafür liegen in seiner frühesten Kindheit, die für ihn eine einzige Zeit des Schreckens gewesen sein muß. Sein Vater war ein Gl in Deutschland, der hier ein Mädchen gefunden und sie geheiratet hat, Karin Scheubel. Direkt nach dem Umzug in die Staaten und

Weitere Kostenlose Bücher