Jung, blond, tot: Roman
Witterung aufgenommen. Ihr Körper war von unzähligen Einstichen übersät, die rechte Brust abgeschnitten, die Augen ausgestochen, der Unterleib aufgeschlitzt, die Kleidung lag neben ihr. Der Anruf des Einsatzleiters erreichte Berger um kurz nach halb fünf. Zwei Minuten später saßen Durant und 35 Schulz im Auto und rasten los. Der Hundeführer, dessen Hund die Leiche entdeckt hatte, und zwei weitere Männer des Suchtrupps hatten sich beim Anblick der Leiche übergeben müssen. Das Gebiet um den Fundort war hermetisch abgeriegelt worden. »Es ist eine verfluchte Sauerei!« flüsterte die Kommissarin fassungslos, als sie vor dem Leichnam stand. Ihr Magen begann zu rebellieren, jetzt im Licht des Tages bot die Leiche einen ekelerregenden Anblick. In der Schwüle hatten sich Schwärme von Mücken auf den toten Leib gesetzt, ergötzten sich am Aas. Sie kämpfte mit der Übelkeit, würgte, schaffte es schließlich doch, sich nicht übergeben zu müssen. Schulz sah ihrem Bemühen mit einer Spur Häme zu. Nach ein paar Sekunden hatte sie sich gefangen. Sie fragte mit belegter Stimme: »Warum tut er das? Warum, um alles in der Welt, tut er das?« Sie sah niemanden dabei an, sprach mehr zu sich selbst. Dann der Blick auf den Leiter der Suchmannschaft. »Irgendwas gefunden?« Ihre Magennerven begannen sich zu beruhigen. »Nur das hier«, sagte der Angesprochene und hielt ihr einen kleinen Plastikbeutel hin. »Ein Knopf. Sieht aus wie ein Knopf von so 'nem komischen Mantel, ich komm einfach nicht auf den Namen.«
»Dufflecoat«, sagte die Kommissarin. »Wo lag er?« »Vor dem Eingang zur Röhre.« »Gleich ab damit ins Labor. Wenn, dann ist das der erste Hinweis überhaupt. Auch wenn ich im Moment noch daran zweifle. Wer trägt schon um diese Jahreszeit einen Dufflecoat?!«
»Vielleicht der Verrückte, der junge Mädchen abschlachtet!« sagte Schulz, der nur einen ganz kurzen Blick auf die Tote geworfen hatte. Sie sah zu schrecklich aus, um länger hinsehen zu können. Trotz der Absperrung und der ungünstigen Lage hatte sich ein Ring Schaulustiger am Weg gebildet. Polizisten hatten alle Hände voll zu tun, die Gaffer wieder hinter die Absperrung zu drängen, dennoch schafften es einige immer wieder, den Riegel zu durchbrechen, um einen besseren Blick auf den Fundort zu erhaschen. Der Leichenwagen mußte etwa siebzig Meter entfernt anhalten, weil dicke Äste eine Weiterfahrt unmöglich machten. Fahrer und Beifahrer stiegen aus, gingen zum hinteren Teil des Wagens, öffneten die Tür, zogen einen Zinksarg heraus. Wortlos transportierten sie ihn zu dem toten Mädchen, hoben den Deckel vom Sarg, zogen Schutzhandschuhe über, wollten das Mädchen hineinlegen, aber Julia Durant hielt sie zurück; erst müßten Spurensicherung und Fotograf ihre Arbeit erledigen.
Die fünf Männer trafen kurz nach Schulz und Durant am Tatort ein. Eine kurze Besprechung, Fotos wurden von allen Seiten geschossen, mögliche Spuren an der Toten gesichert, erst dann wurde die Leiche zum Einsargen freigegeben. Kaum zwei Minuten später war die Kiste im Auto verstaut, bereit für den Abtransport zur Gerichtsmedizin. Nach und nach verteilte sich nun auch die Menge der Gaffer. Auf dem kurzen Weg vom Fundort bis zu den Lindners rauchte Julia Durant zwei Gauloises. Sie war nervös, alle Fasern ihres Körpers angespannt, Stiche in der linken Schläfe, ein typisches Zeichen für Nervosität, es war das erste Mal, daß sie eine Todesnachricht überbringen mußte.
Lindner öffnete die Tür. Angst. Die unausgesprochene Frage Wo ist sie? Habt ihr sie gefunden? Kommt sie nach Hause? Sie kommt doch nach Hause?! Durants Inneres vibrierte, sie ließ es sich aber nicht an merken, sah Lindner ernst an. »Dürfen wir bitte eintreten?«
Er machte wortlos die Tür frei. Weder er noch seine Frau hatten sich seit dem Morgen umgezogen. Auf dem Wohnzimmertisch zwei Flaschen Doppelkorn, eine davon leer, die andere angebrochen, ein überquellender Aschenbecher, die Frau hielt eine halbgerauchte Zigarette zwischen den Fingern. Rotgeweinte Augen. Lindner blieb mit dem Rücken an die Tür gelehnt stehen. Der Kanarienvogel piepste in der Küche. Durant kniff die Lippen kurz aufeinander, setzte sich zögernd auf einen Stuhl. Schulz blieb bei Lindner stehen.
»Haben Sie einen Arzt, den wir gleich anrufen könnten?« fragte die Kommissarin, die folgenden Reaktionen vorausahnend. Sie konnte sich nicht vorstellen, daß diese kleine Frau die Nachricht vom gewaltsamen Tod ihrer Tochter
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