Jung, blond, tot: Roman
ohne Nervenzusammenbruch überstand. Die Augen der Frau weiteten sich allein bei der Frage vor Panik. Durant sah Lindner an, der nickte kaum merklich. »Geben Sie meinem Kollegen die Nummer, er wird das für Sie erledigen.« Der Mann schlug das kleine, braune Telefonbuch auf, deutete auf die Nummer. Schulz wählte, sprach kurz mit dem Arzt.
»Er wird gleich dasein«, sagte Schulz. »Sie haben sie gefunden, nicht? Natürlich haben Sie das«, sagte Lindner mit tonloser Stimme, »sonst brauchten wir jetzt keinen Arzt.« Er hatte im Laufe des Tages viel getrunken, was ihm jetzt vielleicht sogar half. Auch wenn die Nachricht sogar einen Vollrausch verfliegen lassen konnte. »Haben Sie sie gefunden?« »Ja.«
»Und wo?«
»Nicht weit von hier, in der Nähe des Oberforsthauses.« »Wieso dort? Was hat sie am Oberforsthaus gemacht?«
»Das können wir Ihnen nicht sagen. Sie ist einfach eine Haltestelle weitergefahren. Warum?« Julia Durant zuckte hilflos die Schultern. »Wir werden es vielleicht noch herausfinden.«
»Sieht sie schlimm aus? So wie die anderen?« »Behalten Sie sie einfach so in Erinnerung, wie Sie sie zuletzt gesehen haben. Es tut mir leid, Ihnen keine bessere Nachricht bringen zu können.«
Die Frau wimmerte leise vor sich hin. Lindner löste sich von der Tür, ging zu seiner Frau, setzte sich neben sie, umarmte sie. Weinte stumm dicke Tränen, sein Körper zuckte. Er fragte mit tränenerstickter Stimme: »Am Oberforsthaus? Was hat sie bloß am Oberforsthaus gemacht? Sie steigt doch sonst immer hier vor der Tür aus! Es sind doch nur ein paar Meter!« Er stockte, schneuzte sich, stand wieder auf, ging an den Tisch, nahm einen langen Schluck aus der Flasche Doppelkorn. Stellte die Flasche hin, flüsterte: »Sie war doch meine kleine Süße! Wissen Sie eigentlich, wie lieb sie war? Sie war das einzige und liebste, das wir hatten! Sie hat uns nie Kummer bereitet! Nie, verstehen Sie?!« Dann beugte sich Lindner über den Tisch, vergrub das Gesicht in den Händen und weinte hemmungslos, Sabber tropfte auf die Decke.
Der Arzt klingelte, Schulz öffnete ihm. Ein fragender Blick, Schulz sprach leise mit ihm. Der Arzt nickte nur, ließ wortlos seinen Koffer aufschnappen, holte zwei Spritzen und zwei Ampullen eines Beruhigungsmittels heraus, ging auf Lindner zu, krempelte ihm den linken Ärmel auf, was Lindner sich widerstandslos gefallen ließ, knackte den Verschluß der ersten Ampulle, zog die Spritze auf, drück te die miteingezogene Luft heraus und stach die Spritze in die gut sichtbare Vene der Armbeuge. »Ich kann ihm keine volle Dosis geben, er hat getrunken. Das Medikament verstärkt die Wirkung des Alkohols.« Dann wandte er sich der Frau zu, die tränenlos weinte, fühlte ihren Puls. »Sie steht unter Schock«, sagte der Arzt leise. »Sie sollte jetzt nicht alleine sein. Der Mann ist in seinem Zustand keine große Hilfe. Am besten wäre ein Verwandter. Ich werde ihr jetzt auch eine Spritze geben, allerdings weiß ich nicht, wie lange die Wirkung vorhält.« »Haben Sie Angehörige?« fragte er Lindner. »Eine Schwester«, schluchzte er. »Hier in Frankfurt?« »In Höchst.« »Kann sie herkommen?« Lindner, von unsäglichem Schmerz durchgeschüttelt, nahm das kleine Telefonbuch und deutete auf einen Namen. Schulz wählte die Nummer, hatte Erfolg. Lindners Schwester versprach, sofort zu kommen. »Gut«, sagte der Arzt. »Es wäre verantwortungslos, die beiden jetzt allein zu lassen. Manch einer hat in einer solchen Situation schon durchgedreht.« »Ich glaube, es hat wenig Sinn, jetzt eine Befragung durchzuführen. Wir warten bis morgen damit«, sagte Durant. »Brauchen Sie uns noch?«
»Nein. Sie haben sicher noch eine Menge zu tun. Es muß für Sie doch ein hundsmiserables Gefühl sein, solche Nachrichten zu überbringen! Ich werde warten, ob das Medikament anschlägt. Alles Gute. Und hoffentlich finden Sie diesen Kerl bald.«
Freitag, 17.30 Uhr
Schulz sah Julia Durant von der Seite an. Sie kurbelte das Seitenfenster herunter und ließ den Arm raushängen. Sie quälten sich bei drückender Schwüle durch den spätnachmittäglichen Berufsverkehr, der penetrante Gestank von Abgasen drang ins Wageninnere. Vom Taunus her näherte sich eine schwarze Wolkenfront. Noch war es windstill, die Luft kaum zu atmen, die Lider wurden schwer. »Es wird Regen geben«, sagte Schulz, als müßte er etwas sagen. »Hmh.«
»Hoffentlich wird es bald kühler. Ich habe noch nie einen so langen und heißen Sommer erlebt«,
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