Jung, blond, tot: Roman
nicht«, erwiderte Julia Durant ausweichend, überflog noch einmal die Akte, sagte wie beiläufig: »Meinen Sie, Schulz ist in dieser Situation überhaupt geeignet...« Bereits zum zweiten Mal an diesem Morgen trat sie ins Fettnäpfchen. Die Reaktion von Berger war deshalb wie zu erwarten.
Er beugte sich nach vorn, sah sie scharf an. »Jeder von uns, liebe Kollegin, hat sein Päckchen zu tragen, der eine ein schweres, der andere ein leichtes. Ich weiß nur eines ich möchte mit Schulz nicht tauschen müssen, und er wird von mir zu jeder Zeit alle Unterstützung dieser Welt bekommen. Und wenn er im Krankenhaus bleibt bis... Nun, Sie wissen schon.«
»Tut mir leid, ich hab's nicht so gemeint«, entschuldigte sie sich, nahm ihre Tasche, hängte sie über die Schulter und verließ das Präsidium. Der Tag hatte schlecht begonnen, bestimmt würde es so beschissen weitergehen.
Samstag, 10.00 Uhr
Dr. Patanec stand vor dem Spiegel und betrachtete sein Gesicht. Er hatte gebadet, wie jeden Samstagmorgen - an den anderen Tagen duschte er -, sich rasiert, fühlte mit der Hand, ob die Haut auch wirklich glatt war, bürstete das dichte schwarze, von grauen Strähnen durchsetzte Haar und war zufrieden mit seinem Aussehen. Er war ein Narziß, er wußte es, aber er sah keinen Grund, diese Verliebtheit in sich aufzugeben. Mit Sicherheit waren es nicht nur seine Fähigkeiten als Psychologe, Therapeut und Esoteriker, die ihm zu großem Wohlstand verholten hatten, eine Menge hatte er wohl auch seinem fabelhaften Aussehen zu verdanken. Vielleicht war es die harmonische Mischung aus deutschem und italienischem Blut, auch wenn sein Name eher slawisch klang, es waren seine Großeltern mütterlicherseits, die aus dem Osten gekommen waren. Er war stolz auf sein dichtes, hinten langgewachsenes Haar, die grauen Schläfen, die ihm etwas Distinguiertes, überaus Männliches verliehen, doch nur die Schläfen waren grau geworden, sein Körper war durchtrainiert und fit bis in jede Faser und jeden Muskel. Er gönnte sich jedes Jahr acht Wochen Urlaub, die er am liebsten zum Surfen auf den Seychellen und Mauritius verbrachte. Seine Mutter sah er nur noch ab und zu, wenn er sie im Heim besuchte. Das schleichende Dahin schreiten der Alzheimerschen Krankheit, gegen die noch kein Kraut gewachsen war, ließ sie zusehends verfallen. Die ersten Monate nach Ausbruch der Krankheit lebte sie noch bei ihm, seit zwei Jahren war sie in einem Heim untergebracht, und die Zeiten, in denen sie klar denken konnte und ihn erkannte, wurden immer seltener und kürzer. Meist dämmerte sie nur vor sich hin oder faselte wirres Zeug, und keiner vermochte zu sagen was in ihrem Kopf vorging. Manchmal hoffte er, es würde bald zu Ende gehen mit ihr, nicht aus Böswilligkeit, sondern einfach, weil er sie liebte und nicht mit ansehen mochte, wie sie zusehends verfiel. Er hatte sie als lebenslustige, hochintelligente und stets gutgelaunte Frau in Erinnerung, und jetzt wurde diese Erinnerung immer mehr von Senilität und zeitweiliger völliger Abwesenheit verdrängt, während der sie sich in einer für Außenstehende fremden Welt befand. Besuche bei ihr deprimierten ihn jedesmal zutiefst, in der Regel brauchte er einen ganzen Tag, um wieder auf die Beine zu kommen. Manchmal betrank er sich, um zu vergessen, denn wenn es überhaupt einen Menschen außer ihm selber gab, den er liebte, dann seine Mutter.
Er war in seiner Wohnung über der Praxis, als er die Tür klappen hörte. Er besprühte sich mit Giorgio Beverly Hills, verrieb das Eau de Toilette auf Hals und Wangen. Catherine Bernhardt war ein paar Minuten zu früh dran, aber das war ihre Art. Sie war, neben ein paar weiteren auserwählten Klienten, die einzige, für die er bisweilen samstags Zeit opferte und Unpünktlichkeit tolerierte. Mit langsamen, wiegenden Schritten kam er herunter, die Tür zu seiner Praxis stand offen, eine Wolke Chanel No. 5 hing schwer in der Luft.
Sie hatte sich auf die Couch gesetzt, die Beine eng geschlossen, schaute ihn ernst an, als er eintrat. »Guten Morgen«, sagte er und ging auf sie zu. »Du bist überpünktlich - wie immer, möchte ich fast sagen.« Er strich ihr leicht mit dem Handrücken über das Gesicht, und für einen Moment schloß sie die Augen; er glaubte, sie schnurren zu hören.
»Ich habe es zu Hause nicht mehr ausgehalten. Ich hoffe, ich störe nicht?« fragte sie.
»Niemals. Möchtest du etwas trinken?« »Nein, es ist noch zu früh. Nachher vielleicht.« Patanec setzte sich in
Weitere Kostenlose Bücher