Jung, blond, tot: Roman
seinen Sessel, er wartete, keine Fragen, Schweigen. Sie würde von allein beginnen, ihre Wünsche äußern, offen und direkt, wie es eben ihre Art war. Catherine Bernhardt gehörte zu der schwierigsten Sorte Frauen, die glaubte, sich alles nehmen zu können ohne Rücksicht auf die Gefühle anderer. Unzählig die Affären, die sie hatte, ihr Hunger nach Sex ließ sie ständig Ausschau halten nach neuen Abenteuern. Patanec war Bestandteil dieser Abenteuer, und ihm war klar, daß er ein riskantes Spiel spielte, doch es gab kaum eine Frau, mit der Sex so viel Spaß bereitete. Heute war es wieder soweit, sie hatte ihn erst gestern angerufen und um diesen Termin gebeten. Allein aus ihrem Tonfall hatte er herausgehört, was sie wirklich von ihm wollte. Vorher schüttete sie ihm häufig ihr Herz aus, ihre Ängste, ihre Sorgen, wobei sowohl die Ängste als auch die Sorgen hausgemacht waren. Zudem log sie viel und gerne, Patanec hatte sie längst durchschaut. Es gab Tage, da erzählte sie Geschichten, die reine Fiktion waren, entsprungen dem Hirn einer äußerst phantasiebegabten Frau, deren Lebensinhalt aus kaum mehr als Geld und Schönheit bestand. Eine Frau, die zeit ihres Lebens nach etwas suchte und es nicht fand und es wahrscheinlich auch nie finden würde. Der Mann, den sie mit neunzehn geheiratet hatte, war fast siebzig, hielt sich viel in seinen Häusern in Australien oder Neuseeland auf, war längst nicht mehr willens und vor allem nicht in der Lage, ihre unstillbaren physischen Bedürfnisse zu befriedigen. Sie war überzeugt, vom Leben betrogen worden zu sein, und durch teils exzessives Sexualverhalten, durch Rumstreunen wie eine heiße Katze glaubte sie, diese Leere, diesen an ihr begangenen Betrug, kompensieren zu können. Sie verfügte zweifellos über beachtliche körperliche Vorzüge, unterwarf sich jeden Tag mindestens eine Stunde lang der Qual, im hauseigenen Fitneßraum die Ansehnlichkeit ihres Körpers zu bewahren, jede Woche kam einmal die Kosmetikerin, die sämtliche Alterserscheinungen bis jetzt im Keim zu ersticken vermochte, und außerdem gab es noch Dr. Tomlin, der Fältchen um die Augen, einen winzigen Nasenfehler behob, ihren Busen straffte und kaum sichtbare Fettpölsterchen an Hüften und Po absaugte. Allein um ihrem eigenen Schönheitsideal entsprechen zu können, hatte sie schon Unsummen ausgegeben. Deshalb sah Catherine Bernhardt noch immer über die Maßen attraktiv und begehrenswert aus, und ihre offene Einladung, mit ihr zu schlafen, hatte Patanec bereits zur Genüge ausgekostet. Ihr Mann wußte von ihrem Treiben, duldete es generös, froh, daß andere ihm diese Arbeit abnahmen. Die Ehe der Bernhardts war blanke Fassade, hinter der jeder seiner eigenen Wege ging. Geliebt hatten sie sich nie, Catherine, die aus kleinbürgerlichen Verhältnissen stammte, hatte den Ehrgeiz, reich zu heiraten, und der alte Bernhardt hatte das Geld. Eine Scheidung kam für Catherine überhaupt nicht in Frage, sie wollte sich nicht der Annehmlichkeiten berauben, die der Reichtum mit sich brachte. Sie kam lieber regelmäßig zu Patanec, um sich die Sorgen vom Hals zu reden, sich die Karten legen zu lassen oder mit ihm zu schlafen.
Für Patanec war sie eine bedauernswerte Person, die ihrem Leben keinen Sinn abgewinnen konnte. Wenn sie redete, kam selten mehr dabei heraus als leere Phrasen. Ursprünglich war sie wegen Angstzuständen gekommen, behauptete sie. Angeblich traute sie sich nicht mehr unter Menschen, verfiel den eigenen Worten nach in dumpfe Depressionen, sagte, eine unsichtbare Macht wolle sie zerstören, doch die Art und Weise, wie sie die Symptome und Beschwerden schilderte, verriet Patanec, daß sie dies alles irgendwo gelesen hatte. Vielleicht stimmte ein Teil davon, doch wenn, dann war es die Unfähigkeit, das Leben sinnvoll zu gestalten, war es die Langeweile, die Eintönigkeit, die Catherine Bernhardt umgaben. Dagegen half auch nicht ihr Engagement in einigen Wohltätigkeitsorganisationen, das Eintreten für Behinderte, großzügige Spenden. »Gestern war die Polizei bei uns«, begann sie zögernd. »Eine Freundin von Nicole wurde vermißt. Natürlich dachten wir sofort an die anderen Mädchen und hofften, ihr wäre nicht das gleiche Schicksal wie ihnen widerfahren... Du weißt schon, wovon ich spreche. Aber sie ist tot. So tot wie Maureen und das andere Mädchen. Ich glaube, ich fange ernsthaft an, mir über den Tod Gedanken zu machen, obgleich ich furchtbare Angst vor ihm habe. Außerdem habe
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